Mein Schreiben. Täglich.

Teilen Sie mit mir unbeschwerte und schwere Gedanken in Prosa oder Lyrik und versuchen Sie, Grau in Blau zu verwandeln - unter welchem Himmel auch immer.

Mir fällt das oft selbst schwer genug...


Der unglückliche Sven Glückspilz

∞  1 Oktober 2011, 19:40

Ich habe Sven Glückspilz getroffen. Der arme Kerl ist todunglücklich. Und keiner versteht ihn. Wie auch. Das macht alles nur noch schlimmer. Ich habe mal zugehört.


Sven ist ein Glückspilz. Noch genauer: Er ist DER Glückspilz. Sven hat, was wir uns alle wünschen, ja erträumen. Und die einzige Aufgabe, die ihm bleibt, ist doch kinderleicht: Er muss es leben, dieses Glück, es auskosten, nutzen, geniessen. Er hat allenfalls das Problem, dass wir uns alle wünschen, an seiner Stelle zu sein. Aber das sollte ihm doch Gründe genug liefern, dankbar die Hände an einander zu legen und das Glück kübelweise aufzufangen.

Doch was ist, wenn Sven Glückspilz gar nicht nach diesem Glück gefragt hat? Das Glück verhext ja Menschen. Es wirft sich jenen in die Hände, die gar nicht so furchtbar überanstrengt danach gefragt haben – und verweigert sich denen, die an nichts anderes denken können. Sven Glückspilz’ Leben wird durch das Glück fremdbestimmt. Er kann so leben, wie es nun mal jeder einigermassen vernünftige Kopf an seiner Stelle tun würde und also die Tatsache feiern, , keine Sorgen mehr zu haben und vom Leben ganz augenscheinlich geliebt zu werden. Wie auch immer das Spiel läuft: Sven Glückspilz schiesst das Tor – oder ist schon am Ziel.

Aber Sven hat nun Zeit, mit der er selbst nichts anzufangen braucht. Und er kommt ins Denken. Das Glück hat ihm die Wünsche genommen, Träume, Ziele. Sven mag mal scheitern, wenn sein Glück weiss, dass es ohne Folgen bleibt. Aber das ist nur ein kapriziöses Spiel, das Sven Glückspilz noch zu Tode quälen wird:

Er kann sein Herz nicht mehr verschenken, für keine Sache, kein Projekt Herzblut vergiessen. Er hat jene Vernunft in sein Leben gelassen, die das Glück verwaltet, es festhält, weil Sven diesem Glück dankbar sein muss, würdig, es erfahren zu haben. Ungefragt. Sven hat zwar keine Aufgabe, aber immerhin eine Vorgabe. Würde Sven alles oder viel riskieren, er sähe sich selbst als Hasardeur, müsste dem Antrieb dazu misstrauen, als wäre der nur eine Laune.

Und Sven Glückspilz weiss: Man kann Glück nicht verschenken. Es lässt sich nicht weitergeben, nur allenfalls anbieten, mit Liebe: Das Glück entscheidet selbst, wo es bleiben oder von wo es fliehen mag. Sven Glückspilz quält die Vorstellung, ohne sein Glück nicht leben zu können – obwohl er genau dies fühlt: Dieses Glück ist nicht das Leben. Das wartet dahinter, darunter, dort wo jeder Atemzug den Moment umarmt und ihn lebt, ohne Bedingungen, ohne ein Für und Wider, ohne Anspruch und Bedürfnis. Ganz ohne Glück, weil es sinnlos werden durfte, dieses Glück, und das Leben, das es erschuf, um gebraucht zu werden.