Mein Schreiben. Täglich.

Teilen Sie mit mir unbeschwerte und schwere Gedanken in Prosa oder Lyrik und versuchen Sie, Grau in Blau zu verwandeln - unter welchem Himmel auch immer.

Mir fällt das oft selbst schwer genug...


Der Traum von Beachtung, sogar mit Inhalt

∞  20 Juni 2008, 09:14

Die Selbstbeschau der Bloggerszene nimmt manchmal groteske Züge an. Wieviel Zeit wird durchschnittlich pro Blogger darauf verwendet, über seine Hits und User-Statistiken nachzudenken? Und, viel schlimmer, darüber zu schreiben, wie öffentlich er nun schon ist, bekannt oder auch nicht, und wie egal ihm das ist?


Nehmen Sie mal an, Sie gehörten zu den Menschen, die davon träumen, einmal ein Buch zu schreiben. Vielleicht kennen Sie so jemanden oder können sich zumindest vorstellen, dass die eine oder andere Lebensgeschichte “ein Buch wert wäre”. Bis vor kurzem war an so was kaum zu denken. Die Maloche auf dem Weg dahin hätte einem Gang durchs Nadelöhr entsprochen. Erst ist da mal das Schreiben. Das ist schwer genug – aber selbst wenn das gelänge – Sie müssen jemanden finden, der das genau so sieht – und zwar unter hunderten von Manuskripten. Sie brauchen also einen geneigten Lektor und einen Verleger, vielleicht erst einen Berater oder Agenten.

Wie auch immer. Der Weg ist lang und steinig. Seit einigen Jahren nun ist es leichter geworden. Wenn Sie ein wenig Kleingeld haben, vielleicht einen runden Geburtstag feiern und damit einen Grund sehen, dieses auch auszugeben, dann können Sie Ihr Buch übers Internet quasi im Selbstverlag drucken lassen. Die digitalisierte Welt macht das heute möglich und deutlich einfacher, samt ISBN-Nr. und Registrierung bei Amazon oder wo auch immer. Theoretisch kann dann jeder Ihr Buch kaufen. Das macht zwar kein Mensch, und Sie stapeln die Bücher wohl eher im eigenen Lesezimmer, aber immerhin, sie halten es in Händen und haben ein Weihnachtsgeschenk, das nicht mehr gefürchtet sein dürfte als die immer wiederkehrende Krawatte.
Vielleicht haben solche Menschen auch ein Blog, und da finden Sie dann links oder rechts einen Verweis auf das “neueste erschienene Buch”, und es gibt eine Bestellmöglichkeit – und viel Hoffnung. Doch wir alle, die wir Blogger sind, brauchen gar nicht diesen grossen Wurf, dass wir uns fragen, warum wir denn gelesen werden oder eben nicht. Wir fragen uns dies mit und bei fast jedem Eintrag.

Dafür gibt es Blogverzeichnisse und Rankings, Charts und Top-100-Listen für ganze Blogs oder einzelne Artikel, und damit sind wir wieder einmal beim Thema, das Sie in jedem Fall gefangen nimmt, sobald sie im interaktiven Medium der Blogs einen Artikel veröffentlichen: Sie sind nicht nur Schreiber, sondern auch Publizist, Verleger, Redaktor. Und Sie haben Leser. Wunderlicherweise finden viele Blogs ihre Leser, vielleicht so, wie Sie hierher gefunden haben oder auch ganz anders. Über einen Link, ein Blogverzeichnis, eine Empfehlung, eine Suchmaschine – wie auch immer. Sie sind da. Und nun beschäftige ich mich also damit, warum Sie da sind und – vor allem – ob Sie wohl auch wieder herkommen werden?

Dabei “lebe” ich nicht so sehr von Ihnen persönlich, verzeihen Sie bitte, sondern vom Vergleich. Mich interessiert nämlich, warum Sie bei mir wieder gehen und bei jemand anderem bleiben? Und ich vermute fast zwanghaft, dass andere viel mehr Besucher haben als ich. Und das macht mich fertig. Reden oder schreiben tun wir alle darüber. Wen das alles, scheint’s, nicht interessiert, der schreibt genau das. Neuerdings ist es sogar ganz nett geworden, in irgendwelchen solchen Schwanzvergleichen, wie man das boshaft nennt, ganz weit oben zu stehen, um dann zu verkünden, man lasse sich aus der Bewertungsliste streichen, weil man angesichts des Schwindel erregenden Erfolges Gefahr laufe, unter Druck weiter bloggen zu müssen. Das vermittelt eine Bescheidenheit, die man sich in den quälendsten Momenten gerne herbei denkt.

In den Kommentaren liest man dann das Gewünschte von Jenen, die das furchtbar schade finden und versichern, sie möchten die Artikel nicht missen und die Verlinkung auch nicht, von Jenen, die sagen, dass sie – Gott sei Dank – das Problem nicht hätten, da sie nur “ein kleines privates Blog schreiben” würden oder “eben erst angefangen haben”. Und alle kommentieren wir eifrig oder zumindest nicht weniger eifrig weil wir wissen, dass im Kopf des Kommentars unser Name mit einem Link auf unser eigenes Blog verbunden ist. So funktioniert nun mal die ganze Sphäre, und so ist die Software, die diese Vernetzung standardmässig bei jedem Anbieter enthält, wissender und klarsichtiger als jeder User, folgende Weisheit bestätigend:


Wo viele Träume sind, da ist Eitelkeit und viel Gerede.

Prediger 5, 6 (aus dem Prediger-Buch der Bibel, ausgerechnet!)



Mit nichts wie mit Artikeln über Blogcharts offenbaren wir alle das Grundbedürfnis, für das wir stehen: Wir möchten gelesen werden. Was mich ärgert, ist dabei, dass dies nicht einmal stimmt. Genauer müsste es heissen:


Wir wollen beachtet werden.


Dabei akzeptieren wir ein Bewertungssystem, das gar nicht misst, was eigentlich zählt. Gemessen wird nämlich nicht nach der Verweildauer, sondern nach der Internet-Affinität eines Artikels: Was neugierige Klicks auslöst – oder solche von Suchrobotern – generiert Traffic, also das, was in den Holzmedien der Auflage entsprechen würde. Ob hinter dem Impuls auch nur ein Fliegenschiss der erhofften Information zu finden ist und jemand tatsächlich verweilt, ist unerheblich. Wenn Sie tatsächlich bis hierher gelesen haben, so “zählen” Sie in der Statistik genau so viel wie der Such-Roboter, der nach einer halben Sekunde schon wieder weg ist, weil er einen digitalen Marker gesetzt hat – oder wie der User, der nach fünf Sekunden die Geduld verlor und längst fünf andere Web-Seiten weiter ist als Sie.

Da wir nun also gewissermassen unter uns sind, will ich Ihnen verraten: Ich bin dennoch nicht immun gegen diese Charts und Vergleiche, und natürlich finde ich, ich müsste viel mehr Leser haben als das nichtssagende Blog X oder Y. Natürlich würde ich das nie laut sagen, aber es ist dennoch so.

Nun ist mir ein wenig leichter. Ich bin quasi bei der Vernunft angekommen. Denn, wieder unter uns: Wenn Sie tatsächlich bis hierher lesen, dann könnte es doch sein, dass Sie mir wieder mal Ihre Zeit schenken. Oder dass Sie Interesse an anderen solchen Texten hätten, die versuchen, ein kleines Phänomen eingehender zu betrachten, ohne es zu überhöhen.

Wissen Sie, ich träume von einem Portal, das genau solche Texte promotet, die angenehm zu lesen sind, unterhaltend, vielleicht gar erhellend. Einfach so, dass man sie gerne vorliest oder sie hört, dabei schmunzelt oder ins Denken kommt (Grübeln ist nicht nötig, das macht nur Falten). Und wenn man dann Lust auf mehr hat, lässt sich genau da weiter stöbern.

Ich stehe mit der Idee noch am Anfang. Aber sie hält sich hartnäckig. Ich möchte einen Ort schaffen, an dem gute Texte von Bloggern einen zusätzlichen Platz kriegen – jenseits von Blogrolls und Charts, aber diesseits ganz nah beim Lesevergnügen.

Und dann? Wird es solche Texte hier nicht mehr zu lesen geben, die sich nur damit beschäftigen, ob nun zweihundert Leute herfinden (Leute, nicht User), die wirklich lesen, oder zweihundertfünfzig.

Dann wird es um das Glück gehen, dass jemand bei den Worten sitzt, die man geschrieben hat, und sich seine eigenen Gedanken dazu macht. Oh ja: Was für ein Glück das ist!

[Bildquelle: ein Eigenbrötler, der den Dingen auf den Grund knetet und deutsche-pinscher-initiative.de ]


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