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Der Staat sind wir. Mit Rentenvertrag.

∞  27 März 2012, 20:30

Wir haben einen jungen Innenminister bekommen. Alain Berset feiert in Kürze seinen 40. Geburtstag. Heute hat er über seine ersten drei Monate als Bundesrat Auskunft gegeben. Auf eine sehr erfrischende, gelöste und unaufgeregte Art, ganz so, als würde ihm seine Aufgabe einfach Freude machen.

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Alain Berset hat mit dem Innenministerium genau jene Dossiers übernommen, welche nach meiner Meinung absolut zentral sind für die weitere Entwicklung unseres Gemeinwesens – und für die Identifizierung mit dem, was wir “den Staat” nennen.

Die Fragen zum Gesundheitswesen und den Sozialversicherungen betreffen die Verträge, welche Staat und Bürger mit einander generationenübergreifend abgeschlossen haben. Geht es bei den ständig steigenden Krankenkassenprämien noch mehr oder weniger klar um direkte Auswirkungen unserer hohen Ansprüche an unsere Gesundheitsversorgung, so sieht es bei den Perspektiven für die Altersversorgung ganz anders aus.

Ich finde, dass der aktuelle politische Diskurs rund um die Finanzierung der Rentensysteme in höchstem Mass gefährlich für die Stabilität unseres Gemeinwesens ist und unseren sozialen Frieden gefährdet, weil die Entwicklung und die entsprechenden Perspektiven die Loyalität des Einzelnen gegenüber dem Staat schwächen und das Verantwortungsgefühl für die Gemeinschaft untergraben:
Ich bin der Meinung, dass die Politik, will sie die Demokratie in der noch bestehenden Form retten und einen Staat bewahren, der eine Bürgergemeinschaft ist, so muss mit aller Entschiedenheit dafür eingestanden werden, dass der Staat seine Leistungen einhält – und die Renten sicher sind. Und zwar unter Einschluss der Kompensation der Teuerung und für alle, welche in die Sozialsysteme einbezahlt haben. Denn nur dann kann sich dieses Rentensystem jenseits aller Berechnungsmodelle durch die Bereitschaft zum Beitrag auch sinnbildlich fortlaufend bewähren. Wenn also die aktuellen Anlagemöglichkeiten oder die sich verändernde Altersstruktur der Bevölkerung die Finanzierung der Sozialversicherungen schwieriger machen, dann erfordert das gemeinsame Anstrengungen und Kompensationen – aber mit dem klaren Willen, politisch für Kürzungen nicht zur Verfügung zu stehen:

Die AHV und die dritte Säule sind die Basis eines Grundvertrauens der Bürger in den Staat und die eigene Zukunft in diesem Land. Der Gedanke, es könnte für die eigene Rente einmal nicht mehr reichen, zerstört jede Bereitschaft zur Solidarität: In dieser Grundstimmung aufgenommene Worte von der Eigenverantwortung aller Bürger führen dann zu verheerenden Rückschlüssen für das eigene Verhalten und leisten jedem Versuch, sich Leistungen an das Gemeinwohl zu entziehen, Vorschub. Wir müssen uns die Sozialversicherungen für unser aller Frieden in diesem Land leisten. Sie sind unser grösstes Kapital, genau so, wie wir das klare Bekenntnis zu optimalen Ausbildungsmöglichkeiten für alle benötigen -und den entsprechenden Willen, die Ausgaben dafür in Kauf nehmen zu wollen.
Bürger, welche sich um ihre Altersversorgung nicht sorgen müssen, sind gelassenere und offenere Teilnehmer an der Gesellschaft und sehen in ihr schützenswerte Elemente, für die sie auch einzustehen bereit sind. Ich will mehr Politiker, die in diesen Fragen, ganz egal mit welchem Parteibuch in der Tasche, sich auf eindeutige Aussagen verpflichten lassen, und ich wünsche mir eine in diesem Sinne staatstragende Politik.

Alain Berset ist ein junger Bundesrat, unser Mini-Obama, vielleicht, wären wir nicht alle so wunderbar nüchtern in unseren Erwartungshaltungen. Er strahlt eine Gelassenheit aus und verkörpert den Mut, politischen Entscheidungen grundsätzliche Überlegungen voran zu stellen und allen die entsprechenden Diskussionen abzuverlangen. Vielleicht steht da jemand an der Spitze, welcher tatsächlich alte Denkmuster aufweichen kann und den Parlamentariern und Lobbyisten die Entscheidungsfindung so vorbereitet, dass alle Parteien die hier angemahnte Nähe zum echten Bürgersinn neu finden können.
Wir leben nach wie vor in einem Land mit ganz herausragenden direktdemokratischen Errungenschaften und gut ausgebildeten Sozialsystemen für die Schwächeren – und für uns alle, wenn wir im Alter selbst zu ihnen gehören. Also setzen wir uns dafür ein. Machen wir NICHT die Faust im Sack und pflichten wir dem Herrn Griesgram nicht, dass “wir bestimmt betrogen werden”. Widersetzen wir uns dem schleichenden Zerfall der Institutionen für den sozialen Frieden und vertrauen wir darauf, dass wir dank der direkten Demokratie den Willen der Gemeinschaft stets neu festschreiben können. Welche Gemeinschaft wir wollen – nun, diese Frage wird uns allerdings gestellt werden, immer wieder. Und es wird uns auch eine ganze Menge kosten. Aber es muss und darf nicht den Bruch dieses Vertrages zwischen den Bürgern und ihrem Staat bedeuten.