Der Schreibprozess als Performance? [1]
Immer dann, wenn mein Bloggen zu realen Begegnungen führt und man sich dabei über die Schreibprozesse austauscht, welche Texten vorausgehen (und bei der Niederschrift weiter gehen), mache ich immer wieder eine ganz bestimmte Beobachtung:
Unter allen Künsten scheint das Schreiben die einsamste Form zu sein.
Schreibende gehören in ein Kämmerlein. Das ist kein Elend (nicht zwangsläufig), denn Ruhe, wie immer man sie gewinnt, ist für das Schreiben sehr wichtig.
Konzentration aufs Wesentliche. Früher hörte der Schreiber die Feder übers Papier kratzen, heute klickt vielleicht die Tastatur. Das ist weniger romantisch, im Ergebnis aber gilt auch heute, dass alle anderen Geräusche zurück treten, wenn sie denn überhaupt noch zu hören sind. Vielleicht fehlen sie ja ganz, und jemand spannt unsichtbar einen Kokon, indem nichts mehr pocht, als das eigene Blut?
Äussere Ruhe für den inneren Aufruhr,
innere Stille nach der Kontemplation:
Die Art der Texte ist ganz verschieden, so verschieden, wie ihre Geburt.
Tatsächlich hat mich das Fragen nach dem 10-Min-Format, dem Schreiben auf Stichwort für 10 atemlose oder atemübervolle Minuten, wieder mehr darüber nachdenken lassen, welche experimentellen Wege es denn gäbe, Schreibprozesse greifbarer zu machen, Leser daran teilhaben zu lassen, wie etwas entsteht – oder auch scheitert.
Ich stelle mir zum Beispiel ein Restaurant vor. Der Abend steht unter einem Motto:
Fülle. [nur ein Beispiel]
Gäste, welche reserviert haben, sind eingeladen, sich Gedanken zu Synonymen zu machen, welche sie mit dem Oberbegriff in Verbindung bringen. Das könnte hier sein:
Überfluss. Übergewicht. Vielfalt. Auswahl. Völlerei. Geschmack.
Die Gäste können dem Kellner für den Performer Begriffe nennen, so, wie sie ihre Bestellung fürs Essen abgeben. Der Performer schreibt Spontantexte zu den Begriffen – und diese Texte erscheinen als Reflexionsmöglichkeiten auf Bildschirmen im Lokal – so wie sie entstehen und dann stehen…
Vielleicht wird am Tisch diskutiert. Vielleicht wird es kaum beachtet. Vielleicht entsteht eine konzentrierte Ruhe, in der man über den Reichtum eines gelungenen Essens und dessen Werte nachdenkt.
Verschroben intellektuell, nicht wahr? Vielleicht aber auch nicht. Jeder, der liest, der sich die Zeit nimmt, nicht nur Zeitung zu lesen oder I-Net-News, sieht das vielleicht anders. Vielleicht gehört das nicht in die Öffentlichkeit? Aber warum? Muss alles laut und schrill sein? Ich stelle mir vor, wie der oder die Performer sich den Tag über beim Koch informieren, was er kreieren wird, wie sich Küche, Herd, Gaststube und Schreibende® ganz neu auf das Fest einstellen: Gastgeber, Koch zu sein. Festbereiter. Ernährer. Inspirateur. Befeuerer. Besänftiger. Anreger. Wer weiss schon, was der Abend bringt?