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Der Rücktritt eines Präsidenten

∞  9 Januar 2012, 17:00

Die Schweizer Nationalbank steht nun ohne Präsident da. Philipp Hildebrand ist zurück getreten, weil er nicht zweifelsfrei beweisen kann, von einer hohen Dollartransaktion seiner Frau keine Kenntnis gehabt und diese vorab auch nicht mit ihr besprochen zu haben. Ein Mann mit dem Anspruch, eine Ehrenperson zu sein, hat nur ihr Ehrenwort, versichert es nochmals, und zieht doch seine Konsequenzen, weil er erkennt, dass sein Amt die absolute Glaubwürdikgeit in jedem Auftritt bedingt.

Da beweist ein Mann in seinem Amt sehr viel mehr Klarsicht als im Arrangement seiner privaten Lebensverhältnisse, die er mit dem Aufstieg zum Nationalbankpräsidenten nicht geändert hat. Die Weitsicht, die ihm dabei fehlte, beweist er in der aktuellen Einschätzung der Lage, und der Abgang mit Stil lässt für die Schweiz nur eines hoffen:

Dieser Rücktritt schafft hoffentlich die Voraussetzungen, dass mit dem angerichteten Schaden verantwortungsvoll umgegangen wird, und die Nationalbank mit seinem Nachfolger die Herausforderungen der Währungskrise meistern kann.

Hildebrand wird sich wünschen, dass jene Kräfte, die sich nun bestätigt sehen, dennoch hinterfragt werden: Es wird nicht statthafter, mit Halbwahrheiten oder Verdächtigungen öffentlich zu hantieren, wenn der Druck dann tatsächlich zum Rücktritt der Zielperson führt. Es ist nach wie vor nicht nur das Image der Nationalbank ramponiert. Es steht auch mieserabel um die innere Glaubwürdigkeit des Schweizer Finanzplatzes. Das Ausmass der öffentlichen Austragung an sich privater Transaktionen und Handlungen nimmt ein absurdes und Besorgnis erregendes Ausmass an, und es ist in diesem Zusammenhang erstaunlich, wie bereitwillig Hildebrand diese Komponente der öffentlichen Debatte angenommen und versucht hat, sich ihr zu stellen. All diese Versuche haben nicht ausgereicht, den letzen Zweifel zu beseitigen – in einer Konstellation, in der es diese zweifelsfrei beweisbare Wahrheit nicht geben kann. Das beweist eines:

Zumindest in jeder strafrechtlichen Auseinandersetzung ist es und bleibt es absolut entscheidend, dass der Wahrheitsbeweis zu Lasten der Ankläger geht, und niemals vom Beschuldigten zu erbringen ist. In der Politik hingegen ist es manchem eine Lust, mit dem gezielten Setzen des Stachels eines mehr oder weniger begründeten Zweifels, mit der früheren oder zurückhaltenderen Verlautbarung von Schlussfolgerungen Positionskämpfe auszutragen. Ob diese Rechnung auch in diesem Fall aufgehen wird, muss sich zeigen. Der Aspekt des an sich uns allen als Element des Datenschutzes dienende Bankgeheimnisses ist dabei völlig nebensächlich geworden.

Im Grunde gibt es nur eine mögliche letzte Konsequenz: In diesem Schlamassel stehen am Schluss alle Protagonisten als Verlierer da. Neben der Zielperson ist das

ein Weltwochejournalist, der eben noch als Schweizer Journalist des Jahres gefeiert wurde,

ein Weltwocheverleger, der Revolverjournalismus damit rechtfertigt, dass nur die aggressive Geschichte überhaupt zu einer ersten Pressekonferenz geführt habe,

ein Parteichefstratege, der Offenheit fordert, während er selbst es bestens versteht, seine eigenen Besitzstände und Absichten zu vertuschen,

der IT-Verantwortliche der Bank Sarasin, der sich mit seinen Erkenntnissen instrumentaliseirt fühlt, weil die Inhalte gegen seinen Willen von der SVP öffentlich gemacht wurden und nun in einer geschlossenen psychiatrischen Abteilung eines Spitals untergebracht ist,

und ein Kantonalpolitiker, dem der Gaul durchgegangen ist und der sich mit der Frage konfrontiert sieht, ob sein Anwaltspatent noch tragbar ist.

Dann sind da noch die Mitglieder eines Nationalbankdirektoriums und viele weitere Protagonisten mit mehr oder weniger Insiderwissen, von denen man wohl nie erfahren wird, auf welchen Kanälen welche Informationen dazu führten, unlautere Profite mit Wissensvorsprung zu machen. Aber es ist absolut scheinheilig, solches auf politischem Weg verhindern zu wollen. Diese Geschäfte kommen mit Garantie bei jeder Firmenfusion vor. Dieses Problem liegt in unserem System begründet, in dem jene an der Börse honoriert werden, welche eine neue Wahrheit kennen, bevor sie amtlich ist. Wie soll so was je verhindert werden, wenn nicht die persönliche Ethik solches verbietet?

Es kann im Umkehrschluss nur gehofft werden, dass jene regulierenden Instanzen, welche innerhalb des Systems Einfluss auf die Spielregeln haben, die Wichtigkeit von Grundprinzipien erkennen und diese auch festhalten – mit griffigen Bankreglementen zum Beispiel. Wird jede Glaubwürdigkeit verspielt und die Konsequenz der Selbstverantwortung abgeschafft, dann wird das Gebäude sehr schnell in sich zusammenfallen. Hildebrand hat nach seinem Verständnis die Verantwortung, die er für sich sah, wahr genommen. Ich hoffe, andere können das auch – auch in der Ausübung ihrer Funktionen.