Mein Schreiben. Täglich.

Teilen Sie mit mir unbeschwerte und schwere Gedanken in Prosa oder Lyrik und versuchen Sie, Grau in Blau zu verwandeln - unter welchem Himmel auch immer.

Mir fällt das oft selbst schwer genug...


Der prüfende Kunde

∞  16 Februar 2010, 11:21

Messen, die man schon länger besucht, bekommen mit den Jahren personifizierte, sichere Wesensmerkmale, zu denen nicht nur feste Einrichtungen der Infrastruktur gehören, sondern auch ganz besondere spezielle Kunden, die in aller Regel so eigenwillig wie unbedeutend sind, wenn es darum geht, den wirtschaftlichen Erfolg der Messe sicher zu stellen.

Nein, diese Kunden erfüllen eine andere Funktion: Sie bringen die spezifischen Eigenheiten unter uns Verkäufern zum Vorschein. Man kann auf sie ganz unterschiedlich reagieren: Es mag welche geben, deren Timing so ausgezeichnet ist, dass sie bestimmt gerade auf Toilette sind, wenn ein solcher Kunde in den Hafen des Messestandes segelt. Das Problem ist dann allenfalls, dass das dringende Bedürfnis schneller gestillt ist, als der Kunde wieder verschwunden. Ganz sicher sogar und bei weitem. Aber immerhin hat sich bis zur Rückkehr irgend ein Kollege bestimmt des Problems angenommen – denn diese Kunden kommen schnell zur Sache. Und sie bleiben dabei ganz zuverlässig, indem sie bestimmt die gleichen Themen ansprechen, die vor vielen Jahren das letzte Mal Thema waren, für uns längst erledigt, für den Kunden aber nie.

Dass man den Artikel 305 nicht mehr produziert, das ist einfach unglaublich, wissen Sie. Denn da gibt es einen Kunden des Kunden, der genau diesen Artikel unbedingt brauchen würde. Und seit sechs Jahren gibt es den Gebrauchs- und Verbrauchsgegenstand seines unbedingten Bedarfs nicht mehr. Hört man sich das ohne Vorurteile an, wird es gefährlich, denn so, wie sich das eben anhört, muss man eine schwere Folgeerscheinung dieses Lieferausfalls vermuten, und es ist anzunehmen, dass keines der gefühlten sechs anderen möglichen Produkte für die gleiche Nebensächlichkeit den Kummer des Kunden des Kunden je wird stillen können. Das Ganze ist eine Sackgasse, aus der nicht heraus zu kommen ist, nie. Und wenn Sie dann eben hier der Verkäufer sind, so ist die Situation ein Stück weit skurril, ja fast unwirklich, weil sie so grotesk überhöht ins Zentrum rückt und daraus nie weg geschoben werden kann. Und doch gibt es da auch die Verkäufer, die solchen Situationen nicht ausweichen: Kunde ist Kunde, und man versucht, der Person gerecht zu werden – für sich selbst mag man dabei aber eher die grundsätzliche Bereitschaft eines Verkäufers trainieren, alle Kunden gleich – oder zumindest ähnlich zu bedienen. Dass man damit den Kunden wirklich ernst nimmt, gar als Mensch, das mag ich dabei nicht behaupten. Ich weiss auch gar nicht, ob das geht. Was wäre denn überhaupt das Kriterium dafür? Und wie wäre es möglich, die Ressource der eigenen Energien nicht verpuffen zu lassen?

Es gibt einen leisen Gedanken dazu, der mich wünschen lässt, diese Haltung nicht völlig zu verlieren: Die Ressource wird nicht nur verbraucht dabei, es gibt auch eine Speisung der Batterie, wenn sich in der Behandlung des Kunden der innere Frieden spüren lässt, in der Situation keinerlei Hochmut zu verspüren.
Aus seiner Schiene heraus nehmen kann man ihn damit allerdings nicht, aber das sollte man auch nicht erwarten. Solches muss er selbst leisten, und wahrscheinlich wird ihm das nie gelingen. Die nächste Messe ist erst in einem Jahr.
Es wartet die gleiche Prozedur, wie letztes und dieses Jahr, auf uns alle, denke ich.