Mein Schreiben. Täglich.

Teilen Sie mit mir unbeschwerte und schwere Gedanken in Prosa oder Lyrik und versuchen Sie, Grau in Blau zu verwandeln - unter welchem Himmel auch immer.

Mir fällt das oft selbst schwer genug...


Der neue Einkäufer

∞  19 März 2008, 12:00

Er hat mir ein Mail geschrieben. Er will mich kennen lernen. Sich mal mit mir über die Lieferbeziehung unterhalten. Er hat die Abteilung übernommen und sucht jetzt sein Plätzchen, seine Platzhalter, Lesezeichen und Orientierungspunkte. Er will sich ein Bild machen und ich soll mir von ihm ein Bild machen. Er will über Preise reden, ich über Preiserhöhungen oder zumindest über neue Produkte.

Ich erkläre neu, was wir können, er mir, was er kann, oder besser kann, als sein Vorgänger, vielleicht auch als ich. Er weiss Bescheid, oder auch nicht, und ich werde ihn tatsächlich kennen lernen, indem ich erfahre, ob er sich seine Informationen beschafft und wie er das tut. Kann er schlicht und einfach fragen und mit der Tatsache locker umgehen, dass er etwas noch nicht weiss (nicht wissen kann)? Macht er daraus eine Stärke (Unvoreingenommenheit) oder liegt er im Clinch mit seiner (vermeintlichen) Schwäche (Unwissenheit)?

Der Mann ist im Stress, seine Stimme recht barsch, als ich ihn endlich erreiche. Ich sehe ihn gerade vor meinem inneren Auge, wie er am Telefon die Lippen zusamen presst, auf der Suche nach dem schnellen Moment, in dem es gelingt, mich loszuwerden. Ich kenne das auch, wenn die Staatskellerei Basel seit hundert Jahren jedes Mal spät im Oktober anruft und den Geschäftsführer sprechen will, obwohl ich denen seit ebenso vielen Jahren erkläre, dass es in einer Ein-Personen-Firma so was nicht gibt und ich auch keinen Wein brauche, weil ich doch nichts zu feiern habe und darum auch kein Geld da ist, selbst um die Schnäppchenpreise zu bezahlen (ich drücke bei solchen Gelegenheiten gerne auf Tränendrüsen, die gar nicht da sind). So, in etwa, werde ich den armen Kerl dann jeweils los, nicht ohne ihn freundlich zu bitten, doch nun endlich meine Adresse aus der Kartei zu streichen, weil wir uns doch nur gegenseitig die Zeit stehlen würden.
Trotzdem werde ich ihn vielleicht eines Tages vermissen, wenn ich, so um 2020 herum, eines Tages kurz vor Heiligabend aufschrecke: O Gott, die Staatskelleri Basel hat tatsächlich nicht angerufen. Dann werde ich ganz sicher nervös im Telefonbuch nachschauen, ob es die Firma noch gibt und dann erleichtert feststellen, dass ja. Eine Staatskellerei geht nicht verloren, so plötzlich, eingegraben in des Staates Boden, das ist was Sicheres.

Der Herr Einkäufer hier aber, der muss auf “sein” Geld achten. Ich entspanne ihn, indem ich ihm sogleich sage, er müsse keine Angst haben, ich wolle ihm keinen Wein verkaufen und ich würde auch nicht einfach so anrufen, sondern, auf seinen Wunsch. Er ist gleich erleichtert, lacht laut, und ich höre es denken (hach, ich habe ja die Führung, den Lead, bin der Umworbene). Ich mache also meine Vorschläge, um dann zu hören, dass er im Betrieb unterwegs ist. Das trifft sich gut, ich bin auch nicht im Büro, und wir vereinbaren, dass wir bald etwas vereinbaren.

Ich lege auf und denke, wie schwierig es sein muss, sich in einer solchen Funktion in einen grossen Laden neu einzuarbeiten. Und freue mich auf den Termin. Wie ich es immer tue in solchen Situationen. Neue Begegnungen sind immer auch neue Chancen. Wenn wir es das nächste Mal beide so sehen, können wir einen guten Job für einander machen. Das nennt man dann eine Win-Win-Situation. Das ist neudeutsch für “du-verdienst-Geld-mit-mir-und-ich-mit-dir-und-wir-gönnen-das-einander”.



Fundstück: die Einkäuferin