Mein Schreiben. Täglich.

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Mir fällt das oft selbst schwer genug...


Der Kurze, der befürchtet, zu kurz zu kommen

∞  27 August 2014, 23:45

Besuch eines Vortrags mit anschliessender Stehparty, also dieser Art Apéro, bei der sich an einem offiziellen Anlass einer Firma wildfremde Menschen treffen und Small Talk betreiben – wenn’s gut kommt. Und dann werden ein paar persönliche Daten ausgetauscht, und je nach Typ eher Understatement betrieben oder – eben – übertrieben.

Ich mag ja dazu neigen, Menschen blitzschnell einzuschätzen und ihnen wohl auch in gewisser Weise ein Etikett umzuhängen, aber ich bin weit davon entfernt, jemanden auf Grund seines Aussehens nicht ernst zu nehmen – oder seines Auftretens. Geht es dann um Anstand, sieht es ein wenig anders aus…

Wir stehen also an einem dieser hohen runden Tischchen, genau so verloren und im Grunde allein wie viele andere um uns herum auch, und unser Stehnachbar ist ein älterer kleiner Herr mit schlohweissem Haar und einigermassen gestutztem Bart gleicher Farbe. Sein Anzug ist um einiges heller und farbiger, als es bei solchen Anlässen üblich ist, dafür geht er beim Weglassen der Krawatte durchaus mit den Jungen – da hat er an diesem Abend mir etwas voraus.

Und dann geht es los. Wir halten uns an unserem Glas Rotwein, der etwas zu jung ist, und warten auf die Häppchen, die wir uns doch verdient haben. Über den Vortrag reden wir am Tisch zu dritt nicht, das haben wir zu zweit im Saal zuvor schon getan, und unsere neue Stehbekanntschaft scheint darauf auch keine Lust zu haben. Sie steht quasi standby. Der Mann weiss aber, dass die Apéro-Häppchen im Palace in Luzern viel besser waren und der Veranstalter bestimmt auch zu denen gehören würde, die nun sparen würden. Und es tönt wie der Vorwurf eines Sozialempfängers, dem die Beiträge gekürzt werden könnten. Alles, wohlverstanden, bevor die ersten Tabletts herum gereicht werden – für die im übrigen niemand bezahlt hat. Gut, wir sind die Kunden des Veranstalters, dennoch tue ich mich jeweils schwer, bei solchen Gelegenheiten was einzufordern. Aber man kommt ganz automatisch ins Vergleichen, zumindest dann, wenn man früher schon mal an so einem Anlass dabei war.

Nur: Hier wird gemeckert, bevor überhaupt die erste Offerte für den Gourmet vorliegt, und das finden wir dann doch ziemlich daneben. Es geht dann auch weiter wie befürchtet. Der Bedienung kippt er fasst das Tablett weg, weil er von der zweiten Seite aus sich ein Schälchen greift, so dass der Kellner die Gewichstveränderung ausgleichen muss. Der Gast schnappt sich auch schon mal einen zweiten Happen, während er den ersten auf dem runden Tischchen noch verarbeitet, und nach nicht allzu langer Zeit prangt dann auch als Zeichen seiner Bemühungen ein Saucenfleck auf seinem weissen Hemd.

Wir sind dann relativ bald gegangen. Und dabei leider nicht vorurteilsfrei geblieben. Ich frage mich einfach, welche Art Stress das Menschen bereitet, wenn sie so chronisch davon ausgehen, dass sie zu kurz kommen?