Mein Schreiben. Täglich.

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Mir fällt das oft selbst schwer genug...


Der geldgierige Schweizer, den alle Österreicher lieben

∞  31 Oktober 2013, 21:13

Marcel Koller, und damit ein Sportereignis, ist auch heute nochmals mein Thema. Aber vor allem deshalb, weil sich an der Art, wie der österreichische (Boulevard-)Journalismus die Vertragsverhandlungen mit dem Schweizer begleitet hat, ein sehr plattes Bild, das man sich von den Schweizern macht, ablesen lässt.

Ich notiere aus einem Artikel des Tagesanzeigers:

Koller, so der Tenor, werde ganz bestimmt das verlockende, hoch bezahlte Angebot aus der Schweiz annehmen. […] «Marcel Koller ist und war in diesem Land ein Söldner», schrieb der Herausgeber der Boulevardzeitung «Österreich», Wolfgang Fellner, am Dienstag im Leitartikel. Er bezichtigte Koller der Charakterlosigkeit und des Verrats: Der Trainer wechsle nur in die Schweiz, weil er dort 300’000 Euro mehr bekomme: «Und Geld ist für einen Schweizer immer ein Motiv.»
[…]
Auch in der seriösen bürgerlichen «Presse» wusste ein Sportredaktor vorgestern noch genau, dass Koller schon auf dem Weg in die Schweiz sei und der ÖFB ihn besser nicht aufhalten sollte. Denn der grosse Wurf sei Koller halt nicht gelungen, und Ersatz in Österreich zu finden, sollte nicht allzu schwierig sein. 24 Stunden später jubelt derselbe Journalist, dass «der Schweizer Weg der richtige ist». Koller entspreche nicht den Klischees der Eidgenossen und sei deshalb zum Liebling der österreichischen Fussballnation geworden: «Er besitzt ein gesundes Mass an Humor, und vor allem hat er ein weiches Herz.»

Mir scheint einmal mehr, dass man sich Neid einfach verdienen muss. Ich habe selbst Jahrzehnte in einer kleinen eigenen Firma gearbeitet, und es ist kein Jahr vergangen, in dem ich nicht von mehr als einer Seite unverhohlenes Erstaunen ausgedrückt bekommen hätte, dass “eine so unscheinbare Firma einen solchen Erfolg haben könne”.

So ähnlich kommt mir das hier auch vor, kommt mir die Mär, die Schweizer würden einfach vom gehorteten Schwarzgeld profitieren, vor. Es ist die Missgunst jener, die sich selbst klein und minderwertig fühlen und für die Prosperität anderer unbedingt einfache Erklärungen brauchen. Aber es bleibt einfach ein schales Gefühl zurück, wenn solche Klischeebilder zu solch hässlicher Berichterstattung führen. Und besonders peinlich muten dann die Kehrtwendungen an, die man nur deshalb vollführen muss, weil man – höchst unprofessionell – ein vermutetes Ende zu einem Fazit heran gezogen hat, das dann gar nie eintritt. Dumm gelaufen. Nun sind Sportjournalisten oft nicht gerade die Prämierten ihrer Gilde, um auch mal ein Klischee zu bemühen (ätsch), aber ein Herausgeber einer Zeitung, und mag sie für den Boulevard zusammen schmieren, ist ein anderes Kaliber. Solche Entgleisungen sind, mit Verlaub, meiner Meinung nach ein veritabler Skandal.