Mein Schreiben. Täglich.

Teilen Sie mit mir unbeschwerte und schwere Gedanken in Prosa oder Lyrik und versuchen Sie, Grau in Blau zu verwandeln - unter welchem Himmel auch immer.

Mir fällt das oft selbst schwer genug...


Der Captain ist von Bord - auf der Brücke stand er eigentlich nie...

∞  6 April 2011, 07:55

Die Schweizer Nationalmannschaft hat ihre offensive Schlagkraft verloren – vielleicht aber auch die interne Sprengkraft. Ein Kapitän der immer sich selbst mehr geführt hat als das Schiff, wie es scheint, ist samt seinem Adlatus von Bord gegangen.


Die Fussballschweiz ist sie nun also los, seine beiden Top-Stürmer – zumindest waren sie es auf dem Papier und sind sie es auch heute noch – in der nationalen Meiserschaft. Ottmar Hitzfeld musste aus den Höhen der Aura eines Champions-League-Siegers in die Niederungen des Schweizer Nationalfussballs herabsteigen, um zu erleben, dass ihm gleich zwei Führungsspieler auf einen Schlag die Gefolgschaft kündigen. Doch was sind die Gründe?

Es ist schon erstaunlich: Da reisen zig Journalisten an jedem Freundschaftsspiel der Schweizer Nationalmannschaft hinterher und das Schweizer Fernsehen beschäftigt mit Alain Sutter einen Experten, der nichts anderes zu tun hat, als die Nationalmannschaft zu beleuchten, und das einzige, was man zu sagen weiss, ist, dass es bedauerlich wäre, dass keiner der Führungspersonen im Verband zum Vorfall eine Pressekonferenz durchgeführt habe.

Und nun? Angesichts der fehlenden Hintergrundbeleuchtung bleibt nur die Aufstellung der Fakten, wie sie sich den Fans der Schweizer Nationalmannschaft zeigen:
Alex Frei und Marco Streller gehören nicht zu den Liebkindern der Schweizer Zuschauer. Sie polarisieren. Sie spielen für den dominierenden Schweizer Verein, der ähnlich zwischen Hassliebe und gezwungener Anerkennung steht wie Bayern München in Deutschland. Damit sollte man umgehen können, meint man. Und sich stattdessen mit den tieferen Gründen auch auseinandersetzen, welche den Unmut der Fans mit verursachen dürften:

Da gibt es einen Anspruch auf Anerkennung, dem die Bereitschaft fehlt, sich für diese Anerkennung immer wieder neu zu zerreissen. In einer laufenden Qualifikation zählt eine Statistik erzielter Tore in der Vergangenheit nicht mehr. Ehemalige Bundesligafussballer sollten das noch besser wissen als ihre Kollegen – und es auch akzeptieren. Und gerade von einem Kapitän der Mannschaft dürfte man erwarten, dass er sich mehr Gedanken um das Ganze macht als darüber, ob er, ob fit oder nicht, auch von Anfang an spielt. Der Schweizer Nationalmannschaft hat das Ego von Alex Frei nur gut getan, so lange ihm seine Tore Recht gegeben haben.

Es scheint, dass es einen tiefen Graben zwischen der Basler Fraktion im Team und der Generation der Secondos gibt. Die Basler Klüngelführer haben sich nun selbst entfernt – und sie haben gute Chancen, dass man ihnen womöglich doch noch eine Träne nachweint. Zumal die Schweizer Offensive sehr dünn besetzt ist. Das hat allerdings die Herren Streller und Frei nicht besser gemacht, sondern selbstgefällig. Es ist also möglich, dass sich nun ein Knoten löst und die jungen Spieler – oder jene, die bisher zurück stehen mussten, einen Schritt vorwärts machen können. Dass ein Eren Derdiyok oft apathisch schien, wenn er dann doch noch ein paar Minuten spielen konnte, ist mit dem Gefühl zu erklären, nicht wirklich eine echte Chance auf einen Stammplatz zu bekommen – obwohl er beim Tabellenzweiten der Bundesliga sich gegen deutsche Ex-Nationalstürmer wie Kiessling und Helmes (inzwischen transferiert) durchgesetzt hat.

Gut an der unsäglichen Geschichte ist: Es besteht endlich Klarheit. Und die Nachrückenden müssen sich in einer Situation bewähren, in der es noch um theoretische Chancen für eine Qualifikation zur EM 2012 geht. Da kommt ein Auswärtsspiel gegen England gerade recht, und mir ist dieses Spiel als erste Charakterbildung fü r ein neues Team deutlich lieber denn als Abschiedsallotria für einen Kapitän, der seinen letzten Auftritt ursprünglich selbstherrlich für diese Bühne plante.

Bleibt die Frage, welche Rolle Ottmar Hitzfeld in der Angelegenheit spielt und was er im Innersten davon hält. Offiziell lässt er verlauten, per Communiqué, er bedauere den Rücktritt der Beiden nach sportlichen Kriterien und könne die menschlichen Kriterien verstehen. Was auch immer das heissen mag. Klar ist: Er hat das Problem des intern brüchigen Teamgefüges geerbt, aber es ist ihm auch nicht gelungen, die Situation zu glätten. Der baldige deutsche Meistertrainer Klopp in Dortmund liess Alexander Frei nach Basel ziehen – und kaufte Ersatz (und schaffte Harmonie). Das war nicht besonders schwer. Hitzfeld aber hat diese Möglichkeit nicht. Er muss mit dem auskommen, was mit Schweizer Pass zu haben ist. Das Ziel heisst WM 2014. Mit frischem Blut. Und mit neuem Teamgeist. Wenn dies der Zuschauer erkennen kann, wird er auch Geduld haben. Und Pfiffe gegen einzelne Spieler werden ausbleiben.

Rauft Euch zusammen und werdet eine Mannschaft. Es ist höchste Zeit.

:::

Weitere Artikel zu Alex Frei bei Thinkabout