Mein Schreiben. Täglich.

Teilen Sie mit mir unbeschwerte und schwere Gedanken in Prosa oder Lyrik und versuchen Sie, Grau in Blau zu verwandeln - unter welchem Himmel auch immer.

Mir fällt das oft selbst schwer genug...


Dem Herrn Paulsen sein Bücherstöckchen

∞  27 März 2007, 16:45

Ich hasse Stöckchen, vor allem wenn sie geworfen werden: Blogger A fordert Blogger B auf, fünf oder auch mehr Fragen zu einem Thema zu beantworten. Und das soll man dann auch tun, nur weil A es schliesslich auch getan hat. Und zwar auch dann, wenn man selbst schon es nicht lesen mochte. Wie soll DAS jemand anderen erst interessieren? Stöckchen sind von Bloggern erfunden worden, die verzweifelt Themen für Einträge gesucht haben. Die werden dann dafür meist lang. Wie dieser auch.

Dieses Stöckchen aber lag einfach da, und ich habe gelesen und mich anregen lassen. Und das dann auch geschrieben. Und schon hatte er mich, der Señor Paulsen, mit seiner Schwärmerei und Liebeserklärung für das Buch, das Lesen (und am Ende auch das Schreiben). Also antworte und schreibe ich:

-Gebunden oder Taschenbuch?


Gebunden. Obwohl ich mir immer wieder nur das Taschenbuch gönne. Als würde ich meinem Bauch, der mich hinter den Titel zwischen die Buchdeckel ziehen will, nicht trauen. Bin ich dann aber da, ist es einfach schön, die Deckel auf und zuzuklappen, gerade wenn sie richtig schön dick und fast samten sind. Fehlt nur noch der Goldrand…

-Amazon oder Buchhandel?


Leider immer mehr Amazon. Der Buchhandel ist fast nicht mehr erreichbar. Offensichtlich auch wegen mir – ich habe so viel Ungelesenes, dass ich kaum Neues kaufe – und vor allem habe ich viel zu lange viel zu wenig gelesen. Wohl auch darum gehe ich gerne in die Gemeindebibliothek: Bücher riechen, fühlen und sehen. Irgendwie ist ein Buch im Regal oder auf dem Tisch eben doch ein anderes Buch, eine andere Einladung. Übrigens: Warum nur Amazon? Auch wenn man es kaum glauben mag: Das ist nur einer der Anbieter…

-Lesezeichen oder Eselsohr?


Lesezeichen. Obwohl ich sie immer wieder verliere. Dafür mache ich mir dann manchmal welche aus alten eigenen Fotos, mit eingeschnittenem Spickel. Als wollte ich damit das Buch noch ein bisschen mehr feiern. Ein Eselsohr ist wie eine Ohrfeige für das Buch.

-Ordnen nach Autor, nach Titel oder ungeordnet?


Nach Thema, Ausrichtung, Autor. Ein bisschen ist das immer eine Ordnung nach Assoziation. Und das scheint wandelbar. Ich sortiere also einmal im Jahr um, aber meist nur, weil der Staub sich setzt und die Bücher plötzlich weniger Platz zu haben scheinen…

-Behalten, wegwerfen oder verkaufen?


Auf den Dachboden, besser zum Antiquar, auch gerne zum Trödler. Wenn immer möglich nicht ins Altpapier. Ist fast wie Mord. Und gerade darum manchmal eine Wohltat. Wie konnte dies oder jenes je mal lesenswert sein?

-Schutzumschlag behalten oder wegwerfen?


Der Schutzumschlag ist das einzige am Buch, das ich nie schütze… Er bekommt Knicke und Dellen und Risse. Dient als Lesezeichen, wenn dieses wieder mal verloren gegangen ist. Sollte weggeworfen werden und bleibt doch dran. Wie sollte ich meiner Erinnerung für das Buch denn sonst trauen können?

-Kurzgeschichten oder Roman?


Kurzgeschichten sind einfach zu wenig Abenteuer. Häppchen zum Denken auf Vorrat. Wärmen mich auf, und dann? Vielleicht ist das auch nur deshalb so, weil mein eigenes Schreiben höchstens für Kurzgeschichten reicht. Angedachtes, das in der Herausforderung zu Ende gebracht wird, noch knapper zu werden, bitte schön, damit es wenigstens ein wenig dicht wird. Ein grosser und gelungener Roman aber ist ein geistiges Mordswerk – etwas Ewiges, das mir die Chance gibt, meine eigenen tieferen Welten zu begehen und in meinen Bildern mich einzurichten. Gelingt dies auf knapperem Umfang allerdings, dann ist DAS das absolute Non-Plus-Ultra. Also lese ich auch viel Kurzes. Und versuche dabei, die Unsitten des überfliegenden Zeitungslesers zuvor in einem Gedankenlos-Mantra abzulegen.

-Sammlung (Kurzgeschichten von einem Autor) oder Anthologie (Kurzgeschichten von verschiedenen Autoren)?


Oh je, schwierig. Die Gefahr, dass die Auswahl beliebig scheint, ist fast so gross wie der vorauseilende Verdacht… Greif ich doch dazu, habe ich allerdings immer die Chance, etwas, jemanden zu entdecken. Und die Möglichkeit, Teil einer Anthologie-Veröffentlichung in einem Beliebigkeits-Verlag zu werden, war auch das einzige, was mir bisher je als Autor selbst angeboten wurde. Umkehrschluss: Eine gepflegte Anthologie herauszugeben ist wohl etwas vom Anspruchsvollsten, was es in der Kunst der Verlage gibt.

-Harry Potter oder Lemony Snicket?


Auf die Gefahr hin, Entsetzen auszulösen: Kenne ich beide nicht. Von Harry Potter kenne ich nur das Schauspielergesicht mit der Rundbrille und die Imagination eines irgendwo blitzenden Zauberstabs. Sollte ich doch einmal das Gefühl haben müssen, mitreden zu können, so werde ich mir wohl eher einen Film dazu ansehen. Was auch nicht gerade Wertschätzung bedeutet, das gebe ich zu.

-Aufhören, wenn man müde ist oder wenn das Kapitel endet?


Das regelt mit der Zeit das Alter. Wenn mir das Buch, während ich schon im Bett liege, zum dritten Mal auf die Brust oder das Kinn fällt, lösche ich das Licht und beginne am nächsten Abend das Kapitel von vorn. Passiert das drei Abende in Folge gebe ich auf und das Buch gehört zu jenen, die mit einem Buchzeichen an entsprechender Stelle ins Bücherregal kommen. Und dann auf den Dachboden oder gleich zum Trödler. Siehe oben.

-„Die Nacht war dunkel und stürmisch“ oder „Es war einmal“?


Wenn schon solche Platitüden, dann bitte gleich Jerry Cotton. Auf den war immer Verlass. Da bekam man in der Folge auch das, was man eh schon erwarten durfte. Übrigens sind da Eselsohren und verbeulte Deckblätter Pflicht. Siehe auch unten bei “Stiller”

-Kaufen oder Leihen?


Leihen ist okay. Man stelle sich vor, es liest jemand nicht, weil er kein Geld ausgeben will. Da ist mir die Hoffnung lieber, dass er sich Entdecktes im Nachhinein fürs eigene Bücherregal sichert. Was ich selbst fast nie tue: Irgendwie sind Bücher auch Begleiter auf Zeit. Was mir mit ihnen bleibt ist die Erinnerung an Einblicke, mit denen ich dann weiter gelebt habe. Wenn mir ein Buch nahe kam, es mir ein Freund wurde, bleibt es das, auch wenn es nicht im Regal steht.

-Neu oder gebraucht?


Beides. Wenn ich beim Trödler etwas tausche oder entdecke, ist das unter Umständen ein Extra-Geschenk. Manchmal wird so ein Buch in meiner Hand schwer und ich kann es gar nicht mehr zurück legen.

-Kaufentscheidung: Bestsellerliste, Rezension, Empfehlung oder Stöbern?


Bestsellerlisten meide ich, auch wenn ich oft eines besseren belehrt werde: Immer wieder mal staune ich, dass auch die Masse das wirlich Gute erkennen kann. Das schenkt manchmal mächtig Trost. Niemanden kenne ich so gut wie meine Freunde. Eine entsprechende Empfehlung lässt mich ahnen, was das Buch wirklich ausmacht. Bei Blogs bin ich nie ganz sicher, ob er oder sie wirklich gelesen hat oder nur froh ist, etwas zu schreiben zu haben (es soll das niemand persönlich nehmen, ich lese kaum solche Blogs oder nur solche, bei denen ich genau diese Unsicherheit nicht fühle). Stöbern ist reine Lust. Sinnvolle Zeitvernichtung, auch wenn ich am Ende leere Taschen behalte.
Lesungen ersehne ich. Sie machen Bücher so sinnlich, manchmal fast zu persönlich. In jedem Fall aber ehren sie die Gnade, Zeit zum Lesen zelebrieren zu dürfen.

-Geschlossenes Ende oder Cliffhanger?


Was für eine Frage. Ich unterstelle jedem Ende ohne klare Aussage, dass der Verfasser einfach zu faul war, selbst zu Ende zu denken – oder zugeben muss, dass die ganze Geschichte ein Rohrkrepierer war…

-Morgens, mittags oder nachts lesen?


Immer dann, wenn die Zeit, die man sich dafür stielt, zum Gewinn wird. Also immer.

-Einzelband oder Serie?


Alles, was für sich allein schon rund ist. Und nicht gesucht. Was geschrieben wird oder wurde, weil es aus sich selbst geschrieben werden musste. Nicht weil ein Vertrag da ist für Buch Nr. 2, oder drei.

-Lieblingsserie?


Als Buch? Emergency Room war die letzte Fernsehserie, die ich nicht verpasst habe. Was schon fast alles sagt… Ansonsten: Jerry Cotton, siehe oben.

-Lieblingsbuch, von dem noch nie jemand gehört hat?


Die Anthologie, die meine Weihnachtsgeschichte aufnehmen könnte, die mir letztes Jahr zu meinem eigenen Erstaunen aufs Papier geflossen ist. Wird erst im Spätherbst hier online gestellt, wenn überhaupt. Der Pulitzerpreis könnte warten…

-Lieblingsbuch, das du letztes Jahr gelesen hast?


Lama Yeshe Losal: Der Weg zu innerem Frieden.
So einfach, so klar. Das Leben ist keine Hexerei, man muss nur sein Denken bezähmen.
Schenkt eine Ahnung: Was wirklich erkannt und klar wird, fordert kein Werk mehr. Die Fragen, das Suchen ist es, was uns schreiben lässt. Wer findet, ruht, hat Frieden, Musse.

-Welches Buch liest du gegenwärtig?


Gerade fertig geworden mit François Lelord’s „Entdeckung der Zeit“ (Geschenk von ganz feinen Freunden). Nein, hier gibt es jetzt KEINEN Amazon-Link. Bitte den Buchhändler fragen, auf die Gefahr hin, dass ihn das beleidigt. Ist ja auch so ein Bestseller. Aber es ist wirklich ein liebevolles Buch, das ganz einfach daher kommt. Für kompliziert strukturierte Leser wie mich ist das manchmal die grösste und auch segensreichste Herausforderung…

-Absolutes Lieblingsbuch aller Zeiten?


Max Frischs „Stiller“.
Wenn wir schon nach Sätzen fragen, mit denen ein Buch beginnen könnte:
Ich bin nicht Stiller.
Damit beginnt dieses Buch und ist schon so viel gesagt…
Selten hat ein Buch so gut das Hauptmotiv und Leitthema eines ganzen Schaffens eingefangen und so vielschichtig beleuchtet.

Ich bin übrigens und ich bin nicht Thinkabout.

Ich werfe dieses Stöckchen nicht weiter. Wer bis hierher gelesen hat, beweist damit schon genügend Ausdauer – und vor allem Liebe zum Lesen.