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Das muss Kapitalismus sein?

∞  13 Dezember 2012, 19:07

istockphoto.com/studiovision

Internetkonzerne machen es noch etwas deutlicher, als es eh schon war: Internationale Grossunternehmen schaffen es immer besser, über Ihre Verschachtelungen Gewinne zwischen den Ländern so hin und her zu schieben, dass sie am Ende die kleinstmöglichen Steuern am billigsten Ort zahlen…

Wenn nun Google-Chef Eric Schmidt verkündet, er wäre stolz auf das ausgeklügelte System zum Steuersparen – SPON vermutet, dass Google mittlerweile 25 Milliarden steuerfreie Gewinne auf den Bermudas hortet – und darauf hinweist: “Hey, Leute, das ist Kapitalismus!”, dann möchte man angewidert protestieren. Aber hat er nicht recht? Funktioniert die Kultur der Holdings und Trusts nicht gerade und ausschliesslich nach diesem Prinzip und mit diesem Ziel?

Interessant auch, hierzu die Kommentare im SPON-Artikel [1] zu verfolgen. Danach geben ihm nicht wenige recht. Man schaut sich an und rühmt sich schon fast, den Tatsachen ins Auge zu sehen. Aber auch darin liegt eine Entfremdung: Wenn ich einfach feststelle: “So läuft’s”, und das Prinzip, dass der Gierige alles bekommt, akzeptiere, dann gebe ich mich selber auf.

Es mag zum Wesen des Kapitalismus gehören, dass eine Firma versucht, unter Minimierung der Kosten maximalen Gewinn zu machen. Es gehört nicht (mehr) zum Kapitalismus, dass fairer Wettbewerb angestrebt wird, sich also die Verkäufe nach der Regel zu richten haben sollten, dass die tatsächlich verursachten und die rechtmässig entstehenden Kosten Teil des Produktpreises sein müssen. In diesem System wäre es anerkannt, dass eine Firma an ihrem Standort für das Ergebnis, das sie da erzielt, auch Steuern zahlt – wie andere Marktplayer, kleinere, auch, die ohne Chance sind, sich steuerlichen Lasten zu entziehen. Kapitalismus darf nicht bedeuten, dass der Stärkere notfalls JEDE Regel selbst bestimmt – oder sie entsprechend abändert. Genau dies haben wir aber, wobei die möglichen Gewinne ständig noch grösser werden – und unter immer weniger Playern geteilt wrden müssen.

Eric Schmidt sieht sich auf der Seite der Sieger. Chefs solcher Konzerne führen immer wieder als Legitimation, ja geradezu Heiligsprechung der eigenen Dominanz ins Feld, dass die eigenen Produkte von jedermann “gebraucht” würden. Der angefixte Kunde ohne freien Willen oder mit freiwilligem Verzicht aufs Nachdenken ist das Lamm, das gemästet und geschlachtet wird. Ja, auch ich benütze Google-Produkte. Nicht zu knapp. Ich finde sie gut. Aber ich frage mich, wie sehr die Bosse von Apple, Google und Konsorten den Kunden wirklich noch als Menschen im Sinn haben können, wenn sie so manipulativ am Markt zu agieren beginnen? Das Hirn, das davon nicht beeinflusst wird, das Herz, das nicht von der Gier gefressen wird, gibt es nicht. Dass es also alle so machen und der freie Markt die Gesetze macht, kann nicht die letzte Antwort sein. Wahrscheinlich werden diese Unternehmen schlussendlich durch eigene Mechanismen reguliert – zu wenig Sensibilität bei Datenschutz-Fragen, zu viel Druck in Kompetenzstreitigkeiten über Patente oder Steuerfragen, zu viel Brimborium und immer weniger Relevanz bei Produktinnovationen – und plötzlich fallen die Würfel neu.

Nur: Der Kunde ist auch der Angestellte – und längst vor der finalen Entwicklung, vor der Rückkopplung dieser pervertierten Verhaltensweisen, hat es diese Angestellten erwischt: Der Mittelstand leidet und wird in allen Ländern der ersten Welt schmaler. Niedriglöhne werden in immer mehr einigermassen qualifizierten Jobs ein Thema. Die Gesellschaften verlieren ihre Mitte und zerfallen in Extreme. Es könnte sein, dass auch diesbezüglich die destabilisierende Wirkung verweigerter Steuerzahlungen durch Unternehmen schneller zum Bumerang wird, als den Konzernen lieb sein kann. Sie tragen damit zur Verschärfung sozialer Konflikte bei.

Wir leben in einer Welt, welche die Konfrontation über alles stellt. Staat, Bürger und Firma – die Menschen in ihren Rollen finden immer weniger zu einander, die Aufgaben für die Gesellschaft gleichen sich nicht mehr aus.

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der Artikel bei SPON [1]: Milliarden-Ersparnis Google-Boss ist sehr stolz auf Steuertricks

via mycomfor.com