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Mir fällt das oft selbst schwer genug...


Das Leben, das endet. Aber wie?

∞  20 Juli 2014, 22:50

Die Frage nach dem Umgang mit dem eigenen Leben – oder dem durch einen selbst geborenen – sie wird in jeder Gesellschaft heiss diskutiert. Abtreibung, Sterbehilfe – zu keinen anderen Themen gibt es so absolute Aussagen, schwingen sich Menschen und Institutionen zu moralischen Instanzen auf – und doch liegt am Schluss meiner Meinung nach die Sünde, um ebenfalls biblisch zu sprechen, bei ihnen selbst: Denn es ist nicht möglich, diese Fragen theoretisch für jemand anderen zu lösen, und schon gar nicht dogmatisch. Das Leben ist endlich, und wir haben schon längst aufgehört, im Bemühen, diese Prämisse zu negieren, irgend etwas ethisch Fragwürdiges NICHT in Betracht zu ziehen, um ein Leben zu verlängern.

Die Frage, wie ich es mit dem eigenen Leben halte, was ich daran lebenswert finde, welchen Schmerz ich aushalten kann und welchen Sinn sehen – sie ist persönlich, und wenn jemand darüber richtet, dann niemand, der die gleichen Fragen für sich selbst auch wird lösen müssen. Vielleicht. Denn wer behütet stirbt, oder plötzlich, wer seine Kinder zu zweit plant, kommt gar nie in die Situation, so manche Extremsituation durchleben zu müssen – und es ist, mit Verlaub, auch nicht möglich, sich da hinein zu versetzen.

Wir können noch so ernsthaft über Grenzen reflektieren, die wir selbst in keinem Fall übertreten würden, wäre unser Leben gefährdet oder ein Unerwartetes im Entstehen – der Lackmustest der eigenen Grenzerfahrung wird niemals simuliert, er wird knüppelharte Tatsache, und der Konflikt der Seele ist allzu oft gar nicht aufzulösen.

Deshalb finde ich die Worte des scheidenden EKD-Vorsitzenden Nikolas Schneider so wohltuend, der erklärte, er würde seine an Krebs erkrankte Frau Anne zum assistierten Suizid begleiten – aus Liebe, gegen seine Überzeugung. Und nur so kann man diesen Extremsituationen begegnen:

Wir müssen unsere eigenen Antworten finden, und aus eigener Erfahrung kann ich sagen, dass, wenn man sich auf eine solche Begleitung einlässt, mit der Zeit die Frage, ob das richtig sei oder nicht, ob empfundenes Leid denn nun tatsächlich unerträglich geworden sei, nebensächlich wird. Es geht auch nicht um meinen Zorn, meine Wut dessen, der “mutwillig” verlassen wird. Es geht – zum Glück – immer am Ende nur um das Leben, das endet, um den bewussten Umgang eines Menschen mit seinem ganz eigenen Leben und Sterben, und es gibt wohl keinen grossartigeren Liebesdienst, als in dieser Situation dem geliebten Menschen dessen Willen und Wunsch “zuzubilligen” und sich ihm nicht zu entziehen.

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