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Mir fällt das oft selbst schwer genug...


Das Kind, das sexuelle Wesen?

∞  9 Oktober 2011, 21:13

Sexualaufklärung im Kindergarten. Die Weltwoche berichtet von den neuen Lehrmitteln für Vierjährige – nach Massgabe des Lehrplans 21.
Weltwoche, Printausgabe No. 40.11, “Porno für Kindergärtler”


Ich gebe es zu: Mein heutiges Thema ist eines, das ich aus der fraglichen Optik eigentlich gar nicht kenne. Denn ich habe keine Kinder, und damit keine Sprösslinge, welche unter den Fittichen der Schweizer Volksschule ausge-bildet werden. Angesichts der mannigfaltigen Probleme und Fragen, welche die Erziehung der Kinder heute mitbringt, und im Wissen um die Einflüsse und Zielrichtungen offizieller Schulprogramme, sage ich einmal mehr: Ich puste durch und bin froh, mir in diesen Fragen kein Urteil bilden bzw. mein Urteil nicht gegen den gegenläufigen Trend verteidigen zu müssen:

Es herrscht ein bisschen Aufruhr im Land, weil wieder einmal festzustellen ist: Entweder, die Institutionen ignorieren ein Problem, oder sie packen es so grundlegend an, dass die Dogmatik mit den Beteiligten Schlitten fährt und man sich als Vater und Mutter fragt, ob die Damen und Herren in den Erziehungsdirektionen noch bei Trost sind.

Es geht wieder mal um die Sexualerziehung Mittlerweile gibt es nicht nur Frühenglisch, nach neuen Ideen des Lehrplans 21, einem gemeinsamen Projekt der Deutschschweizer Erziehungsdirektoren, soll Sexualerziehung flächendeckend zum Pflichtstoff werden – vom Kindergarten an. Das ist bisher kaum an die Öffentlichkeit gedrungen, aber damit ist es jetzt vorbei, weil angeblich hinterwäldlerische rechtskonservative Politker eine Petition gegen die Sexualisierung der Volksschule lanciert haben –und innert gut drei Monaten mehr als 90’000 Unterschriften dafür sammelten. Das wäre ja schon eine Meldung wert gewesen, so richtig Feuer kam an die Sache allerdings, als der Rechtsdienst der Schweizer Post Unterschriftenbögen in Basel-Stadt nicht aussenden wollte, weil “das Material “pornografisch und anstössig” sei. Die Pointe: Die so taxierten Bilder stammen aus Lehrbüchern, wie sie in Schweizer Kindergärten eingesetzt werden sollen – auf Empfehlung der Behörden und der zuständigen Fachstellen.

Nach den Plänen der staatlichen Erziehungsstellen sollen demnach Vierjährige in Kindergärten alle Körperteile inklusive der Geschlechtsteile benennen können. Doch bei der Theorie soll es nicht bleiben. In Basel-Stadt mochte man den landesweiten Start nicht abwarten sondern hat die Aufklärungsoffensive in diesem Schuljahr gestartet. Zur “Sammlung von Unterrichtsideen” für Kinder ab vier Jahren gehört demnach “gegenseitiges Berühren an intimen Stellen”. Zur Erreichung des Lernziels empfiehlt das Basler Erziehungsdepartement handfeste Übungen.

Das ist ganz im Sinne des Kompetenzzentrums Sexualpädagogik und Schule in Luzern, welches offiziell die Webseite www.lilli.ch empfiehlt, und damit Jugendliche ermuntert, “allein zu üben, zu zweit und in Gruppen. Begründung: “Das tun Pianisten und Tänzerinnen auch”. Alles klar?

“Der Mund ist in deinem Gesicht das, was die Scheide in deiner Geschlechtsregion ist: Eine Höhle, in die du den Penis oder etwas anderes als ‘Besucher’ aufnehmen und [in der du] damit spielen kannst.” Bei Masturbation und Oralsex soll es nicht bleiben, die Jugendlichen sollten sich ein möglichst breites Menu zusammenstellen, wofür dann auch ausreichend und genau so anschaulich Tipps, zum Beispiel für Anal-Sex, geliefert werden.

Woher diese ausufernde Agitation zu Themen kommt, welche mich als Kind ganz bestimmt nicht so früh interessiert haben? Ganz offensichtlich liegt der Ursprung in den Anti-Aids-Kampagnen, aus denen die hauptsächlichen Antreiber der Entwicklung stammen: Alles für möglichst viel Schutz vor Ansteckung durch Aufklärung. Aber, bitteschön, wo ist denn hier das Mass? Geben das nicht die Kinder vor, welche doch vor allem eines antreffen sollten: Eine Umgebung, in der sie ihre Fragen dann stellen können, wenn sie ihnen wirklich auf der Zunge liegen – mit Antworten, die ihnen dann auch gerecht werden können. Das hier ist doch einfach ein Irrsinn – und ich bin sicher, dass ich dagegen als Vater Sturm laufen würde, zumal in allen diesen Erklärungen und Beschreibungen eine kühle Mechanik liegt, die sexuelle Begegnungen auf Funktion und Praktikabilität reduziert und noch nicht mal die Zweisamkeit und Intimität betont, die in einer solchen Begegnung als Paar liegen würde. Beziehung und Gefühl – es fehlt in allen diesen Publikationen fast völlig. Es kommt einem so vor, als würde Sexualität gelernt wie ein Sportfach: Wie werde ich zu einem guten Liebhaber, wie flirte ich erfolgreich, wie betreibe ich erfolgreich Fellatio?

Es ist ganz offensichtlich: Ich habe Schnee auf dem Haupt und bin ein alter Knacker. Aber ich beneide wirklich keinen Vater, der seinen eigenen gesunden Menschenverstand behalten und sein Kind entsprechend begleiten möchte. Natürlich wird dabei auch deutlich, wie schwierig es ist, Kindern Rüstzeug für Begegnungen mit der sexualisierten Gesellschaft in die Hand zu geben.

Nur: Diese Vorbeugung funktioniert doch nicht. Man sexualisiert die Kinder selbst. Das Kind kann doch nur aufnehmen und annehmen, was es wirklich auch beschäftigen kann. Kinder bleiben verletzlich und leben in grösseren Risiken – aber auch in einer Entdeckerwelt, in der wir ihnen nicht alles ungefragt vor die Nase halten sollen. Es ist schon schlimm genug, dass ihre unbeschwerte Jugendzeit immer kürzer wird. Wir sollten sie nicht erwachsener machen, als nötig.

Und wenn ich selbst schon so viele Schwierigkeiten mit dieser Entwicklung habe – wie sehr wird sich dann ein Vater einer Tochter aus einer fremden Kultur mit Händen und Füssen gegen die “Integration” seines Kindes wehren?