Mein Schreiben. Täglich.

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Mir fällt das oft selbst schwer genug...


Das Diktat des Geschenks

∞  17 Dezember 2009, 20:52

Der Text entsteht unter den noch sehr frischen Eindrücken eines vorweihnachtlichen Einkauftripps von heute Nachmittag. Aber ein Eindruck solcher Art entsteht ja mindestens einmal jedes Jahr zur ungefähr gleichen Zeit, und so habe ich keine Hemmungen, gleich in die Tasten zu hämmern. Was sich jährlich wiederholt, ist irgendwie auch von Dauer, nicht wahr?

Kennen Sie auch Paare, Familien, die sich entschlossen haben, sich an Weihnachten nichts zu schenken? Alle haben davon gehört – und doch sind die Geschäfte in diesen Wochen übervoll – und zwar nicht nur von Waren. Der Detailhandel macht jedes Jahr (noch) höhere Umsätze. Also, entweder kompensieren diejenigen, welche sich noch was schenken, das Ausbleiben der anderen, indem sie noch ein paar Hemmungen bleiben lassen, oder sonst stimmt etwas nicht an diesem vermeintlichen Trend.
Sind Sie womöglich Teil dieser Bewegung? Und wenn ja – wie konsequent halten sie es denn durch?

Thinkabouts gehören zu jenen, die sich an Weihnachten nichts schenken. (Die sich überhaupt nichts schenken, aber dazu später mehr). Und noch so gerne würden wir das wenigstens in gerader Linie auf unsere Eltern ausdehnen. Geht aber nicht. Obwohl sich die Eltern erst recht immer wieder verlauten lassen, “sie hätten ja alles”. Und einen Wunsch haben sie deshalb auch keinen, es sei denn einen “unbrauchbaren”, dahergesagten, einen Alibi-Wunsch eben. Aber auf Geschenke verzichten? Geht irgendwie nicht. Das wäre kein Weihnachten mehr. Irgendwie. Sagen ganz ernsthaft gläubige Christen… Bei meiner Mutter geht’s für mich auch nicht, aber das hat mehr mit meinem Gewissen zu tun als mit meiner Mam, weiss Gott. Und Kinder soll man auch beschenken, oder? Gleiches Schenkrecht für alle. Diese Kinderaugen!

An diesem Nachmittag heute sehe ich andere Augen. Und ich selbst habe wohl auch solche. Ich gehe suchend durch die Geschäfte, aber meine Augen bleiben nirgends kleben, und wenn sie es doch tun, ist es so offensichtlich, dass sie einer offensiven Werbung aufgesessen sind, dass ich mich verärgert abwende.

Glückliche Gesichter sehe ich eigentlich keine. Alle sehen so aus, als wären sie lieber wo anders. Allen geschieht, was jedes Jahr geschieht: Sie sind zu spät dran.

Was habe ich denn gesehen, an das ich mich noch erinnern kann? Markenartikel, die doppelt so teuer sind wie in Deutschland. Und einen Helikopter, der tatsächlich fliegen kann – für 59 Franken. Inklusive Fernsteuerung. Made in China. Beides macht mich wütend. Ersatzteile für den Helikopter sind ganz sicher nicht zu erhalten. Bei Reparatur innert der Garantiezeit gibt es einen neuen, der genau so schnell kaputt ist. Was da für ein Schrott in so einem Einkaufszenter herumliegt?! Und das Schlimmste: Das meiste wird (viel zu schnell) zu Schrott und Abfall. Das Nichtverkaufte und das Nichtgebrauchte.

Das Alibi-Geschenk, das Verlegenheitsgeschenk, das Anstandsgeschenk. Alles kann so manchem gestohlen bleiben. Stattdessen kriegt er es geschenkt. Tauschbörsen, Umtauschbörsen. Im besten Fall Pakete nach Rumänien.

Es stimmt: Wir haben alles. Für Sie kann ich und will ich es nicht beurteilen. Aber meine Frau hat Recht: Wir haben alles. Und viel zu viel darüber hinaus. Die Kleiderschränke sind voll, der Kühlschrank auch, Radio, Computer, Fernseher tun den Dienst auch noch, meist viel zu oft und viel zu laut. Aber an Weihnachten packt man und frau gerne noch was drauf.

Wie weit funktioniert eigentlich unsere Gesellschaft (und unsere Wirtschaft) durch das Diktat des Geschenks? Der Schenker gibt sein Diktat ja irgendwie weiter. Wird Dir was geschenkt, sagt man, natürlich, danke. Und dann, wie weiter? Das Buch zu den anderen noch nicht gelesenen, die Vase nach oben hinten im Schrank, es ist die dritte schlanke grosse, und, herrje, die Notiz nicht vergessen, damit man das nächste Mal daran denkt, sich zu revanchieren.

Natürlich: Sie können sich dem allem entziehen und sagen: Das geht mich nichts an. Sie schenken nicht und nehme die Geschenke einfach so hin, wie sie vielleicht sogar gemeint sind: Als spontane Zuneigungsbezeugung. Schön. Aber irgendwann meldet sich das Zipperlein im vom Egoherzlappenzipfel gesteuerten Hirnwinkel, und man findet: Eigentlich hätte er sich schon mal melden können! Und umgekehrt: Was schenke ich dem denn jetzt? Und nochmals anders rum: Weiss ich überhaupt, ob die Kravatte letztes Jahr gefallen hat? Hat irgend jemand irgendwann später noch was gesagt? Schmeckte die Marmelade, die ich selbst gemacht hatte, eigentlich?

Da verpufft viel Wohlfühl-Einforderungsenergie, die sich erst in einem einzigen Moment unter einem farbig behängten Bäumchen ansammelt und dann eruptiert (wenn’s hoch kommt), und im Äther zerstäubt. Bis sie erneut von Nöten wäre, um die nächste Blase zu bilden.

Weihnachten ist nun halt mal das Abbild unserer ganzen Wirtschaftsleistung, die zu ihrem Grossteil darin besteht, dass wir viel zu viele Güter herstellen, die viel zu viele Menschen eigentlich nicht brauchen, weshalb wir sehr viel für Marketing bezahlen, damit wir dann meinen,wir müssten das jetzt doch haben – nur schon, um die Freizeit auszufüllen, die früher kam wie ein Geschenk, heute aber zur Aufgabe, um nicht zu sagen, zur Herausforderung der Familie geworden ist.

Thinkabouts schenken sich also nichts. Auch sonst nicht. Thinkabouts haben alles. Und was sie brauchen, kaufen sie sich oder sie sparen sofort drauflos. Thinkabouts sind in dem allem zusammen. Und wissen eins: Das Geschenk ist, dass man das als Partner versteht: Dass kein Geschenk gewünscht wird. Und kein Gefühl, eine Bringschuld zu haben, ist einer Partnerschaft dienlich.

Stress, der in irgend einer Weise organisiert wird, auch nicht. Nie ist Stress so abstrus, wie wenn es um die Causa Geschenk geht.


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Bild: Wertvolles Geschenk bei der Schneiderin
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