Mein Schreiben. Täglich.

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Mir fällt das oft selbst schwer genug...


Das Buch: Spannend oder...

∞  8 Oktober 2010, 17:36

Was erwarten Sie von einem guten Buch? Was ist “ein gutes Buch” überhaupt.

Ich stelle fest, dass diese Frage wohl sehr individuell verschieden beantwortet werden kann, und bleibe daher bei mir selbst. Ich unterscheide zwischen “spannenden”, “unterhaltenden” Büchern, und “richtigen”, “guten” Büchern. Bei ersteren ist es durchaus möglich und dann auch wohltuend, wenn ich mit heissem Kopf alles um mich herum vergesse und die Buchdeckel kaum aus der Hand legen kann. In einem “guten” Buch erwarte ich etwas anderes. Da will ich überrascht werden, will ich in meinen Gedanken und Gefühlen vom Text erreicht werden. Ein gutes Buch lässt mich nach innen hören – und es enthält Wort- und Satzbildungen, die mich aufschliessen und mir eigenes Denken und Empfinden übersetzen. Was für mich Wert besitzt, wird neu angesprochen, umschrieben, erlaubt einen neuen Blick oder drückt endlich etwas so aus, wie ich glaube, es auch zu kennen.

Literatur hat also sehr viel mit dem Text zu tun, und viel weniger mit seiner Handlung. Ich lese ein solches Buch Seite für Seite, es begleitet mich oft während Monaten, und am Ende sind es vielleicht zwei, drei Momente, die mir bleiben: Stupser oder Nasenstüber für mein Seelengebäude, meine Weltanschauung oder meinen Gefühlshaushalt. Wenn ich ein solches Buch lese, dann fühle ich mich häufiger wie ein Mensch, empfindsam, offen für die immer wieder neue Frage: Und wie fühlst Du selbst? Wie denkst Du darüber? Was mich für immer mit diesem Buch und dem Autor verbindet, ist, dass dieser Autor mit seinem Text mein Begleiter war.

Ein solches Buch ist so geschrieben, dass ich fühlen kann, dass der Autor mindestens so konzentriert schrieb, gerungen hat, wie ich nun langsam lese. Ein solcher Text ist wie Musik hören, eine neue Komposition für ein altes Empfinden, eine neue Umarmung eines ersehnten Gefühls. Ein solches Buch ist nicht Alltag. Es ist die Kernschmelze der Energieform, die ich suche und brauche und von der ich zehre, um im Alltag dieser Mensch bleiben zu können, den ich im Buch in mir entdecke. Das ist Literatur. Sie lässt mich sehen, ganz neu, durch die Augen eines anderen, der etwas anders, besser, umfangreicher be-schreiben kann, als ich es erzählen mag. Der Autor ist mein Übersetzer – oder mein Herausforderer. Auch dies kann belebend sein. Alles, was er sagt, kann im Gegensatz zu meinen Überzeugungen und Erfahrungen stehen, aber glaubhaft und ernsthaft eine Herausforderung darstellen, die eine Überprüfung ermöglicht. Ohne dass ich nach innen oder aussen zu Brüllen beginnen müsste. Ein gutes Buch ist nicht weltfremd geschrieben, aber es will jeder Regung wirklich auf den Grund gehen.