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Das Bild als perfektes Instrument der Manipulation

∞  1 Juli 2012, 15:00

Der mediale Umgang mit Bildmaterial sollte uns alarmieren – oder zumindest die Augen öffnen: Die Bildsequenz-Produzenten der UEFA speisten wiederholt Bildmaterial in die Übertragungen von der Fussball-EM mit ein, das vorgängig aufgenommen wurde. Bei jedem neuen Fussballturnier werden die Bilder, Zeitlupen, Stilstudien und Momentaufnahmen noch besser, und die Spielsituationen werden aus wirklich jedem Winkel ins Bild gesetzt. Doch das genügt den Produzenten offensichtlich noch nicht.

istockphoto.com/koun

Der deutsche Bundestrainer Löw stupst nach etwa zwanzig Minuten einem Balljungen schelmisch den Ball aus der Armbeuge – phantastisch, wie relaxt und souverän der Trainer mitten im Spiel wirkt!

Die Italiener schiessen ein Tor. Auf dem Bildschirm sehen wir einen weiblichen Fan in stiller Traurigkeit, dem eine Träne langsam über die Wange rinnt. Ein starkes, sehr emotionales Bild, das die Verzweiflung und das Mitgehen der Zuschauerin auf sehr anschauliche Weise dokumentiert.

Nur: Die Szene mit Löw geschah vor dem Spiel, beim Einlaufen seiner Mannschaft, und die Zuschauerin hat, nach eigener Angabe, vor dem Spiel beim Abspielen der Nationalhymnen Tränen vergossen.

Zweimal – und das sind einfach die bekannt gewordenen Fälle – hat der Bild-Produzent der UEFA den chronologischen Bildlauf also manipuliert. Ganz offensichtlich genügen ihm die live im Stadion zu erhaschenden Bilder nicht für die gewünschte Untermalung der Botschaften, und wir kriegen Szenen als Live-Bilder vorgesetzt, die einem Zusammenschnitt von zuvor gefilmtem und gehortetem Material entstammen.

Können Sie sich noch erinnern, wie wir uns jeweils amüsiert bis entrüstet haben über Berichte aus streng muslimischen Ländern, in denen Bilder von weiblichen Fussballfans in freizügiger Kleidung jeweils von eigens dafür präpariertem Material ausgetauscht wurde – dank leicht zeitversetzter Übertragung und flinken Fingern am Regiepult. Wir haben darin einen zumindest peinlichen weiteren Beweis für die Bevormundung des eigenen Volkes durch diese Regierungen gesehen und uns ausmalen können, welche Manipulationen sonst noch zu politischen Zwecken von solchen Regimes eingesetzt werden dürften.
Nun, bei uns mag der Antrieb zu solchem Handeln (noch) kein politischer sein. Und einige dieser Tricks kommen augenscheinlich auch ans Licht. Wenn wir aber realistisch sind, dann sind die entdeckten Manipulationen wohl eine Minimalquote der Fälle, die gemeinhin vorkommen dürften, nicht wahr? Und die Folge ist, dass im Grunde jede Glaubwürdigkeit verloren geht. Das so genannte Live-Bild ist kein Garant für die Übermittlung unverfälschter Botschaften oder Eindrücke mehr. Es gibt überhaupt keine Garantien mehr dafür.

Dabei sollten wir unserer eigenen Wahrnehmung schon viel grundsätzlicher misstrauen, denn sie wird auch in scheinbar offenkundiger Weise höchst geschickt manipuliert: Vergleichen Sie mal die Berichterstattung von Fussballspielen bei grossen Anlässen mit früheren Zeiten: Wenn mit verdunkelten Rändern gearbeitet wird, untermalt von dramatischer Musik, Endzeitstimmung sich breit macht, unterstützt durch visuelle Effekte, so befinden wir uns just im Bereich cinematographisch überhöhter Effekte, die aus Bildern akzentuierte Botschaften machen, die ganz bestimmte Emotionen bei uns wecken wollen. Die Macht der Bilder ist mit der aktuellen Technik immer grösser geworden, die Möglichkeiten, uns eine ganz besondere Faszination in die Wohnstube zu holen, werden unermesslich – der Wahrheitsgehalt, die Authentizität aber geht in gleichem Mass verloren und ist nicht zurück zu bekommen – weil der Mensch mit allem, was er produziert, nicht dokumentieren will, sondern überzeugen, beeindrucken, Aufmerksamkeit erregen, etc. Das Bild als Dokument soll im Einzelfall gewiss aufrütteln – aber wie oft werden wir in Zukunft dabei wohl auf eine falsche Fährte geführt?

Und dies noch zum Schluss: Wenn ZDF und ARD nun eilfertig beteuern, sie wüden sich bei der UEFA (erneut) über die unlautere Bildmanipulation beschweren, dann ist das angesichts der eigenen dramaturgisch aufgeheizten Reportagepraxis rund um die EM relativ scheinheilig. Das bringt Stefan Niggemeier in seinem unten aufgeführten Artikel sehr treffend auf den Punkt.

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Links:
[1] SPON: UEFA zeigt falsche Tränen nach Balotelli-Tor
[2] SPON Löw ärgerte Balljungen schon vor dem Spiel,
[3] Stefan Niggemeier: Deutschland ringt um Fassung