Mein Schreiben. Täglich.

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Mir fällt das oft selbst schwer genug...


Das angestrebte und das vorhandene kleine grosse Glück

∞  29 September 2013, 21:28

Neuanfänge: Wie viele muss man in einem Leben wagen? Was ist Mut, was Notwendigkeit, wann ist es Chance, wann Verzettelung? Es gibt Menschen, die ständig von ihrem Neuanfang reden, der jedes Mal der ultimative Start in die Grossartigkeit ist, und es gibt jene, die bewundernswert hartnäckig immer wieder neu beginnen – mit fast unerschöpflichem Elan.

Es gibt Menschen, die fangen in einem Leben tausend Dinge an und bringen keines zu Ende. Sie brauchen chronisch das Gefühl der neuen Chance, und das Ausmalen dessen, was sie erreichen wollen und können, ist eine Art Droge, die das Elend des Alltags betäubt. Es gibt Verkäufer, die so unterwegs sind, mit stets hochtrabenden Worten von einer Chance sprechend, die noch nie da war – aber es gibt auch die Einkäufer, von denen man dann zu hören kriegt, wie grossartig alles sei oder werde – bevor dann das Gespräch schon wieder dem Ende naht, weil der gleiche Einkäufer meint, er hätte leider nur ganz wenig Zeit, der Stress, die ganze Zeit, sei einfach furchtbar…

Und es gibt die Unternehmer mit eigenen Geschäft, die das Risiko abwägen müssen, sich mit erspartem Kapital an diesem einen Ort mit der eigenen Geschäftsidee dem Markt auszusetzen: Ist der Vertrag unterschrieben, heisst es hoffen und bangen – und vor allem schuften. Wer kennt sie nicht, diese Ecken in verschlafenen Quartieren mit dem Coiffeur-Salon im Erdgeschoss und dem dritten Betreiber in fünf Jahren. Und jeder glaubt, mit ihm und durch ihn würde der Laden schon laufen. Meist sind auch Ideen da, um Kunden zu gewinnen – aber was ist, wenn die Flyer-Verteilaktion nicht den gewünschten Erfolg bringt und sich der Gratis-Espresso bei der Vorbesprechung nicht genügend herumspricht? Wer hat den zweiten und dritten Atem und kann so beissen, dass es am Ende hinhaut? Wer vertraut auf die richtigen Ratgeber und hat doch genügend eigenes Bauchgefühl?

Ich kenne einige sehr arbeitsame, fleissige, unermüdliche Seelen, die so zu schuften wissen, wie ich nie arbeiten musste – und manchem wünschte ich zehnmal mehr Erfolg. Aber meist gilt noch etwas anderes: Wenn diese Charaktere, die ich gerade jetzt im Kopf habe, ihr Auskommen finden, ihr Laden sich mal im Quartier festsetzt, das Restaurant Gäste hat, dann zeigt sich eine weitere Gabe:
Sie können zufrieden sein. Und dies ist jetzt nicht eine Vorhaltung, sondern – auch hier – eine Haltung, die zum Vorbild gereicht: Sie sind zufrieden. Weil die Arbeit, die sie leisten, sie nicht bitter macht, weil sie “ihr Ding” machen, und dabei mit sich im reinen sind.

Darum: Besuchen Sie ihren Buchhändler an der Ecke weiterhin – haben Sie nicht nur eine Stammkneipe, sondern gehen sie auch zum Stamm wirklich hin – sind Sie nicht nur Mitglied im Sportverein, sondern machen Sie auch mit – gehen Sie zum Coiffeur im Quartier und bringen Sie ein wenig Zeit mit für den Schwatz. Das alles gehört zum Leben. Und Leben ist Begegnung.

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Bildnachweis: istockphoto.com/alashi: Break Out Of Your Shell