Mein Schreiben. Täglich.

Teilen Sie mit mir unbeschwerte und schwere Gedanken in Prosa oder Lyrik und versuchen Sie, Grau in Blau zu verwandeln - unter welchem Himmel auch immer.

Mir fällt das oft selbst schwer genug...


Danke Euch, Kollegen!

∞  24 Oktober 2010, 21:24

Liebe Kollegen und Gefährten

Das schöne Täschchen von Ladurée ist längst leer. Die Macarons meines lieben Freundes haben ihren Zweck erfüllt, waren eine Gaumen- und Seelenfreude im Spital: Genau das, was sie sein sollten: Ein Hauch Genuss, eine unbeschwerte und unverhoffte Freude. Jetzt steht die Tasche bei mir auf dem Buffet. Sie würde verloren wirken, ohne diese Erinnerung. Aber sie soll genau dort stehen:

Davor lagern meine Medikamente, aus denen ich jeweils den Cocktail zusammen stelle, dreimal täglich, 10 Tabletten total pro Tag. Ich glaube, wenn ich die Medis ausser Haus zur Hand haben muss, dann nehme ich sie im Laduree-Täschchen mit – als eine Art snobistische Geste wider das Chemiepulver in mir… Aber es tut ja seinen Dienst, ich bin, stelle ich fest, ganz gut eingestellt, wie ein Trabbi mit einem gut geölten Zweitakter ausgerüstet, immerhin, und mein Körper funktioniert. Ich fühle mich sicher genug, den Alltag kommen zu lassen, und ich bin frei genug im Kopf, an Euch zu denken:

Marcello, Du hast mir Leid getan, als ich als letzter ging. Es hat gehallt, als die Tür ins Schloss fiel und Du allein im Viererzimmer zurück bliebst, mit nichts als drei Wänden um Dich. Selbst die leeren Betten waren schon weggeräumt. Zum ersten Mal in dieser Woche mag Dich da die Aussicht nicht begeistert haben. Sie muss Dir als Hohn erschienen sein: Der Ausblick auf Schneeberge über dem Zürichsee, so nah und doch unerreichbar fern.
Aber vielleicht hast Du auch da in erster Linie an unseren Herrn Isler auf der Intensivstation gedacht, der da unten mit gar keiner Aussicht noch ganz andere Kämpfe bestehen musste.

Als ich heute auf Besuch kam, wart Ihr wieder zu Zweit, neue Zuversicht im Gesicht, und ich spüre unseren Händedruck noch jetzt. Ich werde Euch nie vergessen, wie Ihr meine Krankheit, weit weniger beschwerlich und bedrohlich als die eure, ernst genommen und meine Schmerzen mitgefühlt habt, während Euch gleichzeitig sicher viel mieser zumute war…

Ich habe mit Euch gelacht, bis uns auch deswegen alles weh tat, wir haben das Zimmer erhellt, so dass die Pflegefachfrauen gerne zu uns kamen – und wir haben auch den Kummer und die Depression zugelassen, wenn der Blick nach vorn schwer fiel und alles sinnlos sein wollte. Das hat mir an Euch am meisten Eindruck gemacht: Der Wille, positiv zu denken, gepaart mit dem Mut, auch die Depression zuzulassen und sie einzugestehen. Ich danke Euch für die Gespräche, für das Vorleben, die Echtheit, den Mut zur Emotion und für die Beispiele eines Humors, der nie aufrichtiger und kräftiger erstrahlen kann, als wenn er aus dem Spitalbett jene bezaubert, die darum herum stehen.

Ihr seid ganz wunderbare Menschen. Ich weiss nicht, wie lange Ihr dieser Aufgabe noch die Stirn bieten müsst: Mit Körper UND Geist gesunden wollen.
Aber ich wünsche Euch auf dem Weg, den Ihr vorgezeigt bekommt, die immer wiederkehrende Erfahrung, wie wertvoll es für uns Mitmenschen ist, Euch zu begegnen. Schmerz und Angst und Leid – nicht mal die sich anhäufende Zeit der immer wiederkehrenden Spritzen, Kanülen, Tabletten, Wundbehandlungen und Therapien soll Euch je einen Kummer bescheren, der nicht zu überwinden ist. So wie ich es beobachten durfte, bekommt Ihr als Lohn für Eure Lebenskraft ein warmes Echo von Pflegenden, Freunden und Angehörigen. Und wenn Ihr keinen Besuch habt, so denkt daran: Die Angst vor Krankheit kann grösser sein, wenn sie unbestimmt bleibt. Einsam aber müsst Ihr nicht sein. Wehrt und meldet Euch. Das Telefon hängt gleich am Bett, die Pflege leitet es auch weiter.

Eines weiss ich ganz bestimmt: Wenn Ihr nach Hause dürft, wenn Ihr stehenden Fusses das nächste Mal auf einer Wiese steht, dann liegt ein Lächeln auf Eurem Gesicht, eine Zufriedenheit und Dankbarkeit, die ich uns allen wünschen würde, die wir dieser Wiese näher sind als ihr.

Ich wünsche Euch das Allerliebste. Und auch Dir, Martin, danke ich. Du warst ein paar Stunden vor mir zuhause. Daheim, vor dem ersehnten Spaghettiteller, mit Optimismus, hoffe ich, auch in stillen Stunden. Du hast uns mit Deinem bescheidenen, demütigen Verhalten, mit dem Willen, alles so zu nehmen und Dich reinzuschicken, wie es sich ergibt, manches leichter gemacht. Und So wünschen wir Vier alle uns gegenseitig nur das Allerbeste. In einer Weise, die ehrlicher nicht sein könnte. Danke Euch.