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Chinas Unverständnis ist verständlich, aber nicht akzeptabel

∞  11 Dezember 2010, 21:00

Die Meldungen rund um die Friedensnobelpreisvergabe in Oslo über das Verhalten des offiziellen China richten einen hellen Scheinwerfer auf das Selbstverständnis, das die chinesische Regierung bei allen Fragen rund um die Menschenrechte prägt.

Es kann daran genau das gleiche abgelesen werden, was schon vor und während der olympischen Spiele zu beobachten war:

China verbittet sich jede Einmischung in die inneren Angelegenheiten und hat keinerlei Ohr für die Auslegung von Menschenrechtsfragen nach westlichem Vorbild. Menschenrecht ist allenfalls soziales Wirtschaftsrecht, das höchstens darin gipfelt, dass sich ökonomische Prosperität für immer mehr Einzelne erreichen lässt. Die Führung ist dabei sehr darauf bedacht, den jeweiligen Eigennutz auf rein pekuniärer Basis zuzulassen, jegliches Begehren nach Mitbestimmung und Meinungsäusserung aber einzudämmen. Wie vorausschauend und umfassend alles unterbunden wird, was an Liu Xiaobo erinnern könnte, zeigt, wie viel Energie die chinesischen Machthaber in jede Keimerstickung legen, wenn vermeintlich staatliche Autorität in Frage gestellt werden könnte.

Können Sie sich vorstellen, Sie würden im Ausland leben, und Ihre eigene Botschaft in diesem Gastgeberland würde Sie dazu auffordern, gegen die gastgebende Regierung zu protestieren? Ist ziemlich einmalig, denke ich…
Aber vielleicht liegt hier auch genau ein Knackpunkt in unserem Verhältnis zu Fernost:

Es ist eben nicht die Schweiz, die solches wie selbstverständlich anmahnt. Es ist auch nicht der Exportweltmeister Deutschland. Es ist China (gegenüber in Norwegen lebenden chinesischen Bürgern), das Land mit der grössten Bevölkerung, dem grössten Wirtschaftswachstum, den höchsten Devisenreserven in US-Dollars, die je ein Land besessen hat. Im Grunde hängt die ganze Weltwirtschaft nicht nur von der Nachfrage Chinas ab – sondern auch von deren Finanzgebaren, die eigentliche Leitwährung ist demnach wohl der chinesische Yuan…

China bestimmt die Grundparameter der globalen Wirtschaftspolitik. Würde der gelbe Riese einen Wirtschaftskrieg wollen, es wäre ein leichtes, die amerikanische Ökonomie austrocknen zu lassen. Das würde zwar die Probleme im eigenen Land verschärfen, aber in der Tat hatte der Westen nach chinesischer Optik noch nie so wenig Anlass, für sich Weisheit zu beanspruchen.

Es bleibt für mich zwar ein Grund für Protest, Zivilcourage und klaren Positionsbezug, wie mit Menschenrechtsexponenten in China umgegangen wird, wie hart Menschen abgeurteilt werden, die nicht systemkonform funktionieren wollen (oder können). Wenn vorausschauend verfügt wird, dass in Restaurants keine Reservationen für mehr als sechs Personen getätigt werden dürfen, um spontane Feiern zu Ehren des neuen chinesischen Friedensnobelpreisträgers zu verhindern, dann ist das eine dieser Meldungen, die nicht nur brüskieren, sondern auch verstören: Woher kommt diese völlig überzogen scheinende Phobie vor jeder offen(er)en Diskussion?

Der Chef des Friedensnobelpreiskomitees, Thorbjørn Jagland, hat es wohl zutreffend ausgedrückt:
China trägt mit seinen 1.3 Mia Menschen in gewissem Sinn das Schicksal der Menschheit auf den Schultern. Wie gross wäre die Strahlwirkung, gelänge es gerade da, eine soziale Marktwirtschaft mit vollumfänglich ausgebildeten Bürgerrechten zu entwickeln. Nach der chinesischen Erfahrung sind die dreissig Jahre beispiellosen Wirtschaftswachstums nur möglich gewesen dank der strikt geführten Öffnung bei abgeriegelten Ventilen aller möglichen Störungsquellen. Die Spekulation, wie das weiter gehen soll, mag und wird, dürfte uns alle immer intensiver beschäftigen. Nachhaltig.


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Anregung zum Artikel lieferte
die NZZ von heute, Seite 3, Liu Xiaobo muss freigelassen werden, von Ingrid Meissl.

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