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China: Verträge mit Fallenstellern?

∞  27 April 2011, 19:24

China hält uns allen laufend den Spiegel vor: Wirtschaftliche Interessen sind nie moralisch. Wir piepsen wegen Menschenrechtsverletzungen nur so lange und so laut, dass am Schluss die Tinte unter den Verträgen doch trocknen kann. Derweil verhaftet China seine Gegner nicht nur weiter. Es lässt sie gar verschwinden.


Der Schweizer Innenminister Didier Burkhalter weilt erstmals in China und spricht dort über Bestrebungen, in den Bereichen Forschung und Entwicklung wissenschaftlich enger mit China zusammen zu arbeiten, einem Bereich, in dem sich die kleine Schweiz mit China auf Augenhöhe befinde.

In der Tat stellt China bis heute keine Nobel-Preisträger – dies als äusseres Indiz dafür, dass die Chinesen noch immer sehr viel Knowhow einkaufen und in der Folge schwer damit beschäftigt sind, dieses Wissen wirtschaftlich im eigenen Land zur Blüte zu bringen – mit 100% Verfügungsgewalt über die Stossrichtung, in welcher diese Technologien versilbert werden. Die europäischen Industrien spielen dieses Spiel mit, denn ihnen wird für die Entwicklung und bezüglich möglicher Absatzmärkte ein Eldorado angeboten. Da lässt sich in der kurzlebigen Welt durchaus vergessen, dass dies immer Geschäftsprojekte unter dem Goodwill der chinesischen Hausherren bleiben, mit dem jederzeitigen Risiko, dass die Spielregeln geändert werden und sich mit einem Mal die eiserne Hand des Staates ganz plötzlich ganz unverfroren direkt um ganze Industriezweige krallt – wie es jetzt gerade im Bereich der Autoindustrie geschieht. Bis dahin aber vedienen auch und gerade Europäer Geld wie Heu.

Didier Burkhalter hat bei seinem Besuch die Verhaftung des Konzeptkünstlers Ai Weiwei angesprochen und durchaus deutlich kritisiert. Was mir dabei bei allen entsprechenden Statements aus der westlichen Politik und hiesigen Gesellschaftskreisen ganz allgemein auffällt:

Alle kritisieren die Verhaftung an sich. Niemand aber prangert explizit die Tatsache an, dass nicht einmal der Aufenthaltsort von Ai Weiwei bekannt ist. Niemand weiss, wo er und wie er gefangen gehalten wird. Und DAS ist das noch sehr viel stärkere Zeichen einer menschenverachtenden Staatsmacht, als die Verhaftung als solche.

Bei der Verhaftung kann auch ein Staat wie China für sich ein Stück weit objektiv beanspruchen, dass eine Anklage (z.B. wegen angeblicher Steuerhinterziehung) eine souveräne Angelegenheit des Staates sei. Dass dieser Staat Verhaftete aber verschwinden lässt, ist ein Skandal, der, natürlich, System hat: Mit diesem Vorgehen baut China zusätzlichen Druck auf alle Dissidenten auf und macht jedes Bestreben, sich untereinander einigermassen vernetzt zu halten, schwierig. Und die seelische Qual für Angehörige und Freunde, wie für den Inhaftierten selbst, ist Zermürbungstaktik. Nichts anderes. Nichts könnte anschaulicher aufzeigen, dass China die Verhaftung von Ai Weiwei als Teil eines Krieges gegen Dissidente ansieht und in Personen wie Weiwei allen Ernstes die innere Sicherheit gefährdet sieht. Die Wirkung ist verheerend und wirkt in diesem Konflikt eskalierend: Je länger diese Situation andauert, um so unwahrscheinlicher wird es, dass Ai Weiwei wieder frei kommt oder wieder auftaucht: Wäre er plötzlich wieder erreichbar, würde das nun ein um so grösseres Interesse wecken – was einer solchen Entwicklung ganz bestimmt erst recht entgegenwirkt.

Man kann es drehen und wenden wie man will, man kann auch berücksichtigen, dass uns im Westen die Menschenrechtslage gefühlte tausend Prozent mehr interessiert als 90% der Chinesen im Land – aber die Art und Weise, wie der Staat mit Dissidenten umgeht, wie er jede Form der kritischen Meinungsäusserung unterdrückt und darauf geradezu panisch reagiert, ist ein immer wiederkehrendes Mahnmal: Man hat “Partner” am Tisch, welche für die Durchsetzung ihrer Interessen keinerlei Hemmschuhe kennen, wie wir sie uns in demokratischen Kulturen gewohnt sind. So gesehen stellen wir bei jedem Vertragswerk mit China einen Fuss in die Wildfalle, die dann zuschnappt, wenn die Gegenseite das will.


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Zum Thema:
Didier Burkhalter: Die Kunst, China nicht zu verärgern [swissinfo.ch]