Mein Schreiben. Täglich.

Teilen Sie mit mir unbeschwerte und schwere Gedanken in Prosa oder Lyrik und versuchen Sie, Grau in Blau zu verwandeln - unter welchem Himmel auch immer.

Mir fällt das oft selbst schwer genug...


Bus fahren ist ganz unbescheiden schön

∞  22 Februar 2009, 19:39

Auf der Heimfahrt aus Frankfurt kam mir das “Via”-Magazin der SBB in die Hände, und darin wurde in einem Artikel empfohlen, die Stadt Zürich mit der Buslinie 31 zu durchqueren, wolle man einen Eindruck von der Vielfalt dieser Stadt bekommen, dicht komprimiert auf gut dreissig Minuten Fahrzeit.
Nun ist genau diese Art der Erforschung einer Stadt, ja durchaus auch “meiner eigenen” Stadt, etwas, was ich immer mal wieder mache. Aber wenn, dann mit der Strassenbahn, dem “Tram”, wie wir sagen. Warum eigentlich? Der Bus befährt manchmal ganz andere Routen, dringt oft tiefer in Wohnquartiere ein und ist für längere Fahrten sowieso bequemer. Also gesagt, getan, wobei ich nicht vorhabe, die ganze Strecke nonstop zu fahren. Nein, ich will immer mal wieder aussteigen.
Und in der Tasche habe ich ein Büchlein von Marc Aurel dabei, und weil mich dieser römische Kaiser, der so viel mehr als heute manch anderer unter uns vor allem Mensch zu sein versuchte und nicht mehr, aber ganz bestimmt auch nicht weniger, nehme ich mir vor, mit den Augen Marc Aurels durch meine Stadt zu fahren und zu laufen: Ich suche nach Bescheidenheit, Einfachheit, dem Unprätentiösen, dem Schlichten, das sich selbst genügt und darin zufrieden ist und bleibt.
Ich finde diese Zeichen überall auf der Strecke. Im noblen Quartier Zürichs, wo eine Dame vor mir einsteigt und ihren feinen Mantel schlicht zu tragen scheint, weil er einfach warm hält. Sie hat auf jeden Fall ein Lächeln auf den geschminkten Lippen für jeden, der ihren Blick kreuzt, und nichts an ihr wirkt aufgesetzt, obwohl sie alles mit einer gewissen Eleganz ausübt. Jede Bewegung fliesst, ist gesetzt, nicht aufgesetzt, und es ist sogar schön, sie einfach nur da sitzen zu sehen – und ich bin mir sicher, dass ich nur schon darin eine Menge von ihr lernen kann.
Ich finde die Bescheidenheit beim Kunsthaus, vor dem Schauspielhaus, in diesem Kiosk, der sich in die alten Gemäuer zurück zu ziehen scheint und niemandem gar nichts aufdrängen will; aber man geht gerne dahin, gerade wenn der Wind ein wenig bläst oder der Regen über alles Warten seine Trübsal ausbreitet.
Ich suche am Eingang zur Altstadt beim Neumarkt noch bewusster nach den alten kleinen Läden, nach den antiquarischen, verstaubten Büchern, den Bildern und Fotos, die, würden sie denn plötzlich entdeckt, auch den Verkäufer erstaunen würden. Ich finde die gelassene Bescheidenheit in diesen Ecken, wo ich stöbern kann, wie ich will, und niemand sich genötigt sieht, missbilligend zu vermuten, ich wäre ein Ärgernis in meiner ganz augenscheinlich nicht vorhandenen Zielstrebigkeit in meinem Rödeln, das kein Suchen ist. Hier wird ganz entschieden dem Trödeln mit der eigenen Zeit gehuldigt.
Ich finde Nüchternheit, mit der ich an der Militärstrasse von Jugendlichen gemustert werde, die vielleicht heute schon mehr Härte erlebt haben als ich die ganze Woche über. Mein Blick geht an der Langstrasse hoch in die oberen Stockwerke in den Seitengassen, wo häufiger als auch schon ein Blümchen im Fenster gepflegt wird, eine Gardine mit Spitzen nicht prahlen will, aber trotzig Wohnlichkeit reklamiert.
Ich sehe ein bisschen, was mich Marc Aurel lehren kann, aber ich sehe ganz bestimmt nicht genug. Gäbe es bessere Gründe, eine immer gleiche Reise immer wieder zu wiederholen, weil man in den Kleinigkeiten nie deren ganze Fülle zu erfassen vermag?
Und dieses Kleine, Bescheidene, dieses Alltägliche, das sich genau darin zurecht findet, nicht mehr sein zu müssen – wie sehr kann es doch eine Sensation sein, ein Gefühl, ein blitzender Augenblick, ein Lächeln, das mir die Starre aus dem eigenen Gesicht nimmt und mich Mensch werden lässt.
Das Leben mit Bescheidenheit betrachten – ein Weg, reicher zu werden. Auf allen Wegstrecken – auch in Ihrer Stadt, auf Ihren Wegen, in Ihren Dörfern, an Waldrändern und in Industriebrachen. Machen wir uns jeden Tag auf kleine Entdeckungsreisen.