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Mir fällt das oft selbst schwer genug...


Bundesräte: Sie sind welche von uns, irgendwie

∞  6 Januar 2009, 19:41

Immer wieder kann ich mit einer Tatsache aus dem politischen Alltagsleben der Schweiz meine Bekannten und Freunde im Ausland verblüffen. Es will mir kaum jemand glauben, dass bei uns ein Bundesrat mit dem Fahrrad durch “seine Stadt zur Arbeit fährt”, genau so, wie die Bürger, die er regiert (böse Zungen sagen: verwaltet). Oder er oder sie geht gleich ganz zu Fuss. Oder mit dem Tram. Und niemand nimmt davon besondere Notiz. Anpöbeln ist nicht. Diskutieren vielleicht schon. Grüezi sagen auch. Manchmal. Aber bitte nicht aufdringlich.

Ich weiss nicht einmal, ob wir Schweizer wirklich weniger hinschauen, wenn ein Prominenter in der Nähe sitzt, oder ob wir einfach das Talent haben, es deutlich diskreter zu tun. Vielleicht ist uns ja auch gerade ein Prominenter wie Michael Schumacher dafür so dankbar, dass wir wissen, dass, wenn er auf dem Thron sitzt und ihm die Unterhosen um die Knöchel schlackern, er auch nicht wirklich “bessere Gattung macht” als unsereiner. Ein älterer Miteidgenosse hat mir das in einer Diskussion mal so eindringlich und anschaulich geschildert, dass mir schlagartig klar wurde, dass dies der eigentliche Segen für die Prominenten in der Schweiz ist. Und richtig glücklich können sie sein, wenn es auch umgekehrt gilt:

Schumi spielt schon mal Fussball mit der Dorfmannschaft, da, wo er wohnt. Kumpel mögen sie deswegen ja nicht gleich sein, ich weiss es nicht, will nicht romantisieren. Aber eine Bratwurst essen sie mit ihm dennoch, und denken beim Bier: Der ist eigentlich ganz in Ordnung. Nur sein Akzent ist fürchterlich. Aber was soll’s. Wenn ich auf dem Thron sitze, töne ich auch nicht besser als er.

Oder so ähnlich.

Und wenn also die Frau Bundesrätin Widmer-Schlumpf durch Berns Gassen zur Arbeit schreitet oder mit der Strassenbahn fährt, dann sind da keine Sicherheitsbeamten in der Nähe – oder sie bleiben unsichtbar. Wenn die Dame unflätig angepflaumt würde, wären da zuerst ein paar andere Passanten, die für Ordnung sorgen würden. Denn wir wollen uns diese Beschaulichkeit, die Volksnähe, die auch eine Regierungsnähe ist, nämlich nicht kaputt machen lassen. Auch nicht von den eigenen Leuten. Wir sind uns nämlich bewusst: Das ist ein Stück Kultur – und wird verteidigt.

Nur etwas, bitteschön, wäre mir ganz lieb. Die Fotografen wie die Damen und Herren Minister sollten es nicht übertreiben mit der Volksnähe. Ein Interview zu führen und sich dabei mit einer Frisur zu präsentieren, die wie ein explodiertes Sofakissen am Kopf kebt, wäre nicht nötig. Da frage ich mich aber auch: Wo hat denn da der Fotograf hin geschaut?

Bevor mir jetzt jemand den Chauvi vorwirft: Ich finde es auch bei Ministern nicht hilfreich, wenn meine Aufmerksamkeit von deren Rede auf einen speckigen Ärmel, die verschüttelte Frisur oder die speckig-fleckigen Brillengläser gelenkt wird.

Was denkt sich da manchmal der Fotograf, die Pressestelle, die Protagonistin, die Hauptperson selbst? Ich denke, es ist einfach nicht wichtig genug. Irgendwie herrlich irritierend normal. Zu sehr normal vielleicht. Die sind ja alle weniger eitel als ich selbst. Wie soll ich da repräsentativ verwaltet oder gar regiert werden?


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es regiert einer von uns, immer, auch wenn er 'von denen' ist!