Mein Schreiben. Täglich.

Teilen Sie mit mir unbeschwerte und schwere Gedanken in Prosa oder Lyrik und versuchen Sie, Grau in Blau zu verwandeln - unter welchem Himmel auch immer.

Mir fällt das oft selbst schwer genug...


Boll und Churchill

∞  27 Juli 2008, 20:14

...> Die Tür öffnete sich wie immer – weit genug, um Churchill raus schlüpfen zu lassen und knapp genug, um ihm keinen Blick auf ihre nackten Füsse in den fleckigen Filzpantoffeln zu gestatten. Das letzte Mal, als er das sah, war es ihm einfach zuviel geworden.
Der letzte Dienstag im alten Jahr, er kam immer dienstags, war es gewesen. Ihr grosser Zeh mit dem abgesplitterten Nagellack spreizte sich leicht verlegen, als er wie üblich mit gesenktem Kopf unter der Tür stand und darauf wartete, dass es ihm gelingen würde, sie anzusehen. Und als er schliesslich sein Kinn hob und in das müde Gesicht blickte, das mal voller Leben war, sagte er es:

“Ich nehme es dir übel, dass du dich so gehen lässt. Es ist in Ordnung, dass du findest, ich wäre ein Scheisskerl. Aber es ist geradezu grotesk, dich damit für den Rest deines Lebens in meinem Haus einrichten zu wollen.”

“In meinem Haus”, hatte sie geantwortet, während sie ohne jeden Triumph in der Stimme die Tür langsam zuzog. Sie schob sich wie ein Vorhang vor den Zeh, der sich nun an ihrer Wade rieb.

Churchill hockte auch heute Dienstag auf dem Boden und glotzte ihn an. Der Beagle war ein alter Herr, den Boll bewunderte. Das Vieh war seit je so störrisch, wie er es nie sein konnte und wurde doch gemocht. Churchills Hundeblick konnte niemand widerstehen. Vielleicht war er dennoch so bockig, weil er insgeheim die Menschen dafür verachtete, dass sie es ihm so leicht machten? Boll wusste nie, was der Kerl wirklich dachte, wenn er zu ihm auf sah. Er war nur sicher, dass das Vieh sich was dachte.

Boll schaute nach unten, zuckte die Schultern und lief los. Dies war ein guter Tag, um sich um nichts anderes zu kümmern als um die eigene miese Laune. Er drehte sich nicht um. Boll wusste genau, dass Churchill nicht plötzlich das Gehorchen anfangen würde. Churchill tat, was er wollte und wo er es wollte. Mit ihm spazieren zu gehen, hatte den einzigen Zweck, Reklamationen gleich vor Ort annehmen zu können, wenn er wieder gegen einen Kinderwagen pinkelte oder auf den Gehsteig kotzte. Boll hätten sie ja in der Luft zerrissen. Aber Churchill? Die Furien auf den Strassen fuchtelten mit den Regenschirmen, bereit, ihn die Sauerei mit blossen Händen aufwischen zu lassen. Doch Churchill hatte zumindest die Gnade, ihn nach seinen Auswürfen nicht allein zu lassen, und so guckte Boll nur bedauernd auf seinen Hund, und die Passanten guckten auch, und dann war es zu spät.
Churchill tat also, was er wollte und Boll trug keine Konsequenzen. So vertrugen sie sich ganz gut und gingen auch an diesem Morgen ihres Weges.


Hunde sind die besseren Menschen