Mein Schreiben. Täglich.

Teilen Sie mit mir unbeschwerte und schwere Gedanken in Prosa oder Lyrik und versuchen Sie, Grau in Blau zu verwandeln - unter welchem Himmel auch immer.

Mir fällt das oft selbst schwer genug...


Blues nach Fünfzig

∞  29 Oktober 2013, 20:11

Ich bin vor einer ganzen Weile fünfzig geworden. Es könnte sein, dass mich der Blues, der diesem Ereignis, das ja gar keines ist – der Zeitpunkt kommt und geht einfach wie alles andere auch – nachgesagt wird, nun eingeholt hat. Denn ich hadere mit Unvermeidlichem.

Gemälde von Eva-Maria Bättig

Gut, ich weiss nicht, ob es unvermeidlich war und ist, dass die Liste der “Freunde”, die sich einfach irgendwann aus meinem Leben verabschiedet haben, so lang ist. Und es mag sein, ganz sicher sogar aus deren Warte betrachtet, dass ich dazu ja genügend selbst beigetragen habe. Nein, ich meine an dieser Stelle die Tatsache, dass sich ganz offensichtlich viele Menschen ein Bild von anderen machen und das dann zur eigenen Wahrheit verballhornen, ohne es je darauf ankommen zu lassen, dieses Bild im Kontakt mit der Person sich bestätigen – oder korrigieren zu lassen. Wir machen uns ständig Bilder über Menschen. Wir scheinen ohne dies nicht auszukommen. Wir benötigen es ganz offensichtlich, um selbst zumindest wackeligen Stand zu behalten – und ganz offenbar gehen wir ganz gerne auch mal schnell auf Distanz – denn aus der Distanz muss erst recht nichts korrigiert werden.

Wie gesagt: Dies scheint unvermeidlich zu sein. Wahrscheinlich arbeiten wir deshalb auch alle so krampfhaft daran, ein Aussenbild von uns zu gestalten, dass uns, gewissermassen, zupass kommt. Wir erstellen heute Profile. Wir schönen uns das Konterfei, die Kontaktdaten, wir sind quasi laufend dabei, eine Art Bewerbungsschreiben zu erstellen und zu verfeinern, je nach der eigenen Motivation:

Schau mal an, wie cool ich bin! Wie kompetent. Wie schön. Wie lässig. Mich musst Du doch kennen lernen! Aber halt. Darum geht es ja gar nicht. Nicht zu sehr, bitte. Ich mag es, wenn Du mich magst, und es ist voll geil, wenn Du es auch kundtust, aber wie gross ist denn Dein Potential? Wie viele Menschen kennst Du? Wen muss ich noch kennen lernen?

Und im realen Leben: Afterworkparty statt Ruhe. Netzwerk auch da vor Freundschaft. Am Wochenende verreist, im Gespräch abwesend, am Abend erschöpft, am Morgen auch. “Wer bist du?” fragt kaum einer mehr. “Was geht ab?” schon. Sinnbildlicher kann Sprache Veränderungen nicht wiedergeben.

Womit ich wieder beim Anfang bin: Ich bin wirklich im Begriff, eine alte Socke zu werden. Ich habe den Blues. Nicht wegen den Jungen. Die haben das gleiche Recht, sich wegen mir an die Stirn zu tippen, wie ich es an ihrer Stelle getan habe. Aber ich wundere mich, ich erschrecke mich ob der Tatsache, wie leichthin wir die Werte echter Freundschaften blass geredet haben, bis sie uns entglitten sind. Vielleicht für immer. Was leben wir den Jüngeren noch vor?