Mein Schreiben. Täglich.

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Mir fällt das oft selbst schwer genug...


Blockade im eigenen Kopf

∞  4 Juni 2011, 21:06

Faszination Wettkampfsport – Wie schafft man es nur, das auch zu spielen, was man kann? Nirgends scheint das so offensichtlich meilenweit auseinander liegen zu können, wie im Tennis.


Der gestrige Halbinfal zwischen Djokovic und Federer am French Open weckt immer noch Bewunderung – nicht nur bei mir. Was für ein Match! Davor und danach meinte Federer, dass er genau dafür so hart trainiere, um in diesen entscheidenden Momenten sein bestes Tennis spielen zu können.

Wer selbst Tennis spielt, weiss, was in dieser Aussage steckt, denn wir Hobbyspieler kennen alle ein ganz anderes Problem: Wir spielen dann, wenn es zählt, mitunter am schlechtesten.

So heute erlebt, auf der anderen Netzseite, mir aber in dieser akuten Form aus eigenem Erleiden auch bekannt: Wir spielen uns ein, und ich sehe sehr schnell: Mein Gegner hat eine gute Länge in den Schlägen, einen guten Topspin auf der Vorhandseite, einen recht stabilen Slice auf der Rückhandseite, ist gross und flink und hat einen guten Volley. Das einzige, was ich feststellen kann, ist, dass er auf der Rückhand wirklich nur Slice-Bälle spielt, und ich stelle mich darauf ein, ihn mit eigenen Topfspins per Vor- und Rückhand auf seiner Rückhand festnageln zu müssen. Immer wieder.

Dann beginnen wir das Spiel. Und mit dem ersten Ballwechsel ist auf der anderen Netzseite jede Sicherheit weg. Die Bälle sind plötzlich viel kürzer, die Streuung ist gross, die Fehler sind häufig. Ich bin erst so perplex, dass ich selbst zu schnipseln beginne und meinen “Match-Plan” nicht befolge. Ich schiebe nun auch auf der Rückhand, aber ich mache die Punkte dennoch viel zu leicht. Wir spielen dabei beide bei weitem nicht das, was wir können und in jedem Training beherrschen. Und genau dies ist – abgesehen von jeder tatsächlichen technischen Spielstärke die allergrösste Faszination, die von Spitzenspielern ausgeht: Wenn es zählt (sic!), dann spielen diese Athleten ihr bestes Tennis – je grösser der psychische Druck, um so grösser wird die Intensität. Es ist schwer beeindruckend, wie Federer sein Spiel auf diesem Top-Niveau gegen Djokovic stabilisieren konnte.

Bei uns läuft das auch im Kopf ganz anders. Erst als ich 5:0 führe und mich erstmals mit dem folgenden Doppel beschäftige und mein Gegner den ersten Satz verloren sieht, befreit er sich und spielt besser. 5:1. Spielbälle zum 5:2. Es ist Zeit für die Erinnerung an meinen Match-Plan. Ich bringe den Satz dann auch ins Trockene. Im zweiten Satz spielen wir beide besser, aber noch immer Klassen schlechter als beim Einspielen. Ich habe von den Anlagen mehr Varianten, gewinne am Ende aber deshalb sicher, weil ich weniger hinter meinen Möglichkeiten zurück bleibe als mein Gegner.

Wir spielen in der Gurkenliga. Keiner von uns hat auf irgendwas gewettet, hat was zu verlieren und auch nur gaaaanz wenig zu gewinnen. Es ist, theoretisch und von der Grundidee her, reines Freizeitvergnügen. Und dennoch erleben wir am eigenen Leib immer wieder diese Situationen. Das ist doch merkwürdig, nicht wahr? Und was, bitte schön, macht uns diesen Druck:

Niemand macht uns Angst, spottet oder droht bei schlechter Leistung den Ausschluss vom anschliessenden gemeinsamen Essen der Mannschaften an. Wir sind es selbst: Wir machen uns den Druck, so dass die Beine plötzlich schwer wie Blei sind und der Schläger einem Baumstamm gleicht. Wir bauen Erwartungsgebilde auf, nehmen uns das Selstvertrauen vorauseilend selbst und schleppen uns über den Platz, bis die Sache so aussichtslos wird, dass “es (was eigentlich?) keine Rolle mehr spielt” – und dann spielen wir besser. Aber der Gegner wird uns nicht mehr aus seinen Fängen lassen, wenn er nur einen kleinen Fliegenschiss Vertrauen in sein eigenes Spiel hat.

Darum sollte man sich wohl auch in solchen Situationen kleine Dinge vornehmen: Und ansonsten den Kopf abschalten, damit die Nerven- und Blutbahnen nicht blockieren.
Was ist besser: Einen Fehler zu machen, weil ich den Schwung voll durchgezogen habe – oder weil ich ihn abgewürgt habe? Je besser das Niveau der Spieler wird, um so eindeutiger geben sie in jeder Situation auf diese Frage die richtige Antwort.