Mein Schreiben. Täglich.

Teilen Sie mit mir unbeschwerte und schwere Gedanken in Prosa oder Lyrik und versuchen Sie, Grau in Blau zu verwandeln - unter welchem Himmel auch immer.

Mir fällt das oft selbst schwer genug...


Block und die anderen

∞  30 Juni 2011, 17:54

Block wohnt in einem Dorf, wie wohl viele von uns. Ob er so viel anders ist als wir, so viel schrulliger und seltsamer, vermag ich nicht zu sagen. Er wahrscheinlich auch nicht. Aber wie bei anderen Menschen auch, gibt es auch hier genügend Menschen, die sich von Block ein Bild machen. Immerhin.


Block wurde durchaus beobachtet im Dorf. Man sah ihn frühmorgens über die Felder spazieren, entlang dem Saumweg auf dem sanften Hügel, der das Dorf abschirmte. Block bildete eine Silhouette im Morgenlicht, als wäre er eine Scherenschnittfigur, die langsam durchs Bild gezogen wird. Man kannte sich im Dorf, sprach sich durchaus mit Vornamen an, wusste alles von einander und noch ein bisschen mehr, das man sich vornehmlich dann erzählte, wann die besprochene Person nicht anwesend war. So gab es zu Allen ein Bild, das man pflegte, und aus dem zu fliehen nicht einfach gewesen sein dürfte, ohne dass ich wüsste, ob es jemals jemand versucht hatte. Bis heute ist mir nicht bekannt, dass jemand dadurch grösseren Schaden erlitten hätte. Es galt eben einfach hinzunehmen, dass man eingeordnet war. Spaziergänge halfen da nicht raus. Doch Block wollte auch gar nirgends raus, denn er fühlte sich auch nicht drin, und es kümmerte ihn lange nicht, wie er gesehen wurde. Er dachte, er wäre einfach er. Er dachte im Grunde überhaupt nicht darüber nach, und das hätte auch so bleiben dürfen.

Sie sprachen eigentlich nicht abschätzig über ihn, aber etwas zu oft, und das Gerede hatte immer den gedämpften Klang, der das Geschwätz vordergründig dämpft, wenn man “von dem Anderen” sprach. Block war der einzige, der für die Dörfler keinen Vornamen hatte. Er war einfach “der Block”.

Hätte Block vom Gerede vernommen – ich glaube, es hätte ihn nicht schockiert. Womöglich wäre er durchaus damit zufrieden gewesen, für einmal jemand zu sein, mochte es noch so wenig wirklich mit ihm selbst zu tun haben. Denn Block machte bestürzende Beobachtungen in seinen sich leise fort schleppenden Tagen: Er wurde immer häufiger verwechselt – bei jenen, die ihn wirklich kennen sollten: Kollegen nannten ihn alsbald beim Vornamen eines Kameraden, der plötzlich häufiger mit ihm zusammen war. Schon sein Vater hatte ihn meist mit dem Namen seines älteren Bruders angesprochen. Block hatte etwas an sich, das scheinbar immer auf andere verwies.

Als er so vor sich hin sinnierte und sich seiner Trübsal hingab, schreckte er plötzlich auf, um einem alten Mann die Tür aufzudrücken, der sich mühsam in die Strassenbahn hochzog. Er hörte das gemurmelte Danke kaum noch, als sich die Tür auch schon schloss und das Tram anfuhr. Block hatte den schrillen Ton der Klingel im Ohr und verlor sich in den auf dem Gehsteig auseinander eilenden Menschen.


Der Text wird in einigen Tagen in die Sektion ERZÄHLT verschoben werden.