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Mir fällt das oft selbst schwer genug...


Bewunderung und Ehrfurcht eines aufgeklärten Geistes

∞  17 Mai 2008, 15:42

Wenn das Leben nicht nur erklärt sondern weiter bestaunt werden kann, bleibt es lebendig und erschliesst uns seine Moral.

Zur Einleitung ein Zitat:


“Zwei Dinge erfüllen das Gemüt mit immer neuer und zunehmender Bewunderung und Ehrfurcht, je öfter und anhaltender sich das Nachdenken damit beschäftigt: der bestirnte Himmel über mir und das moralische Gesetz in mir.”
Immanuel Kant


Wir verstehen heute unter Aufklärung oft nur noch den Beginn der Abkehr vom Joch religiös motivierter Staatsführung, die Definition und die Geburt freiheitlicher Grundvoraussetzungen unserer modernen, säkularen Staatsgebilde – aber wir haben gleichzeitig bald jedes Gefühl für Mystik verloren. Wir staunen nicht mehr.

Neugier? Die Welt scheint bis in die Gene der Lebewesen erklärt, wird rekonstruierbar. So glauben wir zumindest. Glauben? Wir hoffen es vielleicht, weil uns jede andere Hinwendung zu einer Fügung, Begleitung oder einer Bestimmung fehlt. Der führende deutsche Philosoph der Aufklärung verwendet im obigen Zitat Begriffe, die uns auch ohne festes Gottesbild Dinge lehren können, die dem Leben seinen Zauber zurück geben, ja ihn eröffnen, aufbrechen, aufscheinen lassen.

Bewunderung: Das was ich sehe, grossartig finden können. Was schön ist, bestaunen können, ohne es gleich erklärbar machen zu müssen. Eine Farbe nicht nur sehen, sondern von ihr ergriffen werden, einen Ton nicht nur hören, sondern auf ihm sich weg- oder wohin träumen, einen Duft nicht nur riechen sondern sich die Augen von ihm schliessen und neue Bilder zeigen lassen.

Ehrfurcht: Wir denken heute nicht unbedingt weiter, was uns die alten Meister erschlossen haben. Wir wenden es aber an. Wir manipulieren und basteln das Leben. Was wir dabei verlieren, ist jede Dankbarkeit vor dem Geschenk des Lebens. Was wir verdanken könnten, fordern wir vielmehr ein. Wir setzen alle Energie darin, es zu erhalten, ohne dass wir intensiver leben würden. Wenn wir keine Ehrfurcht haben, lassen wir den Gedanken der Vergänglichkeit nicht mehr zu.

Die Tatsache, dass wir etwas nicht erklären können, lässt uns nicht still werden, sondern ruhelos. Jedes Geheimnis liegt in unserem fehlenden Wissen begründet, niemals in einer höheren Ordnung, die nicht zu knacken, zu erschliessen wäre. Wer aber Ehrfurcht kennt oder neu entdeckt, erschliesst sich eine neue Intensität des Flusses der Zeit. Plötzlich kann er sich fragen, wie er selbst wohl gedacht sein möge? Und wie viel von diesem Fragen ist in uns Allen von vornherein angelegt?

“Das moralische Gesetz in mir”: Frage ich danach, so halte ich nicht gleich eine Gesetzestafel in die Höhe und erkläre der Gesellschaft, wie sie zu leben hat. Ich habe erst mal genug mit mir selbst zu tun. Ich kann mich ja durchaus selbst erschrecken, wenn sich plötzlich Skrupel melden. Was in mir selbst kann Gesetz sein? Es müssen Wahrheiten sein, die ich nicht wegdrücken, nur zudecken kann. Vielleicht ist es ein Wissen über das Leben, das genau darin besteht, dass dieses Leben Ehrfurcht und Bewunderung verdient, ja, dass wir selbst diese Haltung verdienen und uns darin schulen sollten, gerade in unserem weiteren Nachdenken, wollen wir uns selbst wirklich in der Tiefe gerecht werden.

Aufklärung heisst auch in Glaubens- und Sinnfragen nicht mehr, als die Suche nach den eigenen inneren Antworten. Aber auch nicht weniger. Und so tot, wie wir manche Dinge reden wollen, werden sie nie sein. Und so lange, wie wir manche Blase weiter ins Leben schreiben und denken wollen, kann kein Lebenszyklus je sein. Was denn bedeuten könnte:

Wir entdecken die Demut vor dem Leben neu. Eine Demut, die niemand bei uns einfordern kann als das Leben selbst. Gefördert würde eine Haltung, in der sich freier atmen, intensiver riechen, feiner hören, weiter sehen und staunend denken liesse.