Mein Schreiben. Täglich.

Teilen Sie mit mir unbeschwerte und schwere Gedanken in Prosa oder Lyrik und versuchen Sie, Grau in Blau zu verwandeln - unter welchem Himmel auch immer.

Mir fällt das oft selbst schwer genug...


Bericht vom letzten Vorposten (Reloaded)

∞  21 Juli 2013, 20:38

Ich weiss, dass meine Mutter viele meiner Texte gemocht hat – obwohl sie meistens alles wieder weggeworfen hat, wenn es gelesen war. Heute nun musste ich schmunzeln: Inmitten der monatlichen Abrechnungen vom Altersheim, fein säuberlich gelocht und abgelegt im Bundesordner, finde ich folgenden von mir verfassten Text – und das ist mir Grund genug, ihn hier nochmals wiederzugeben.

Bis zuletzt fand sie immer wieder Grund, herzhaft zu lachen, und sie hat es geliebt, Witze erzählt zu bekommen und sie weiter zu geben. Und es fiel ihr auch bemerkenswert leicht, über ihre eigene Situation und ihre Umgebung mit zu schmunzeln, wenn diese jeman ein wenig auf die Schippe nahm. Überhaupt hat sie wohl meine leichteren, flockigeren Texte, von denen es, ich weiss, nicht so viele gibt, ganz besonders gemocht. Nun denn, ich kann einleitend noch beifügen, dass mir heute bei der Durchsicht ihrer Schriftstücke auch sonst leichter zumute war, als gedacht. Es ist schön, diese Aufarbeitung nun langsam an die Hand zu nehmen, und auch mal bei einem Dokument verweilen zu können. Aber ich schweife ab. Das hier ist ja nun nicht unbedingt gerade ein Dokument…:

Bericht vom letzten Vorposten

∞ 30 APRIL 2007, 18:35

Mein heutiger Beitrag ist die Potenzierung des Unattraktiven: Geht es hier sonst schon oft genug um vermeintlich „schwere Themen“ (auch wenn sie der Seele eigentlich zu freierem Durchatmen verhelfen sollen), so rapportiere ich heute zusätzlich noch von einem Ort, der wirklich absolut zum In-Report taugt mit Hit-Klick-Besuchsrekordpotential:

Vom Altersheim nämlich.
Vom Alten-Heim.
Vom alten Heim.

Denn eine solche Institution altert irgendwie schneller als ein normales Gebäude. Sozusagen im Zeitraffer-Eiltempo altern hier die Geschichten bis zur letzten Zeile, die immer gleich endet. Menschen kommen aus der Welt, bevor sie endgültig aus der Welt gehen…

Aber noch schreiben sie an ihren Geschichten weiter, und es ist an uns, wie wir diese hören und sehen und verstehen wollen.

Zum Beispiel die Geschichte vom Kerrn Koputschka, der durch den Park schlurft und mit seinem Stock die Blätter auf dem Weg hin und her schiebt, scheinbar ruhelos und doch bedächtig, hartnäckig. Und plötzlich steht er da, an der Theke der Cafeteria, mit einem Schnittblumenstrauss in der Hand für die werte Bedienung, und während Gott weiss, woher die Blumen kommen, können wir es zumindest befürchten…
Nun stehen sie da, im Glas auf der Theke, und erfreuen dank dem Herrn Koputschka die vermutlich falschen Leute, aber was ist schon falsch an einem Blumenstrauss, der die schöpferische Schönheit an einem Ort des welkenden aber manchmal durchaus heiteren Alterns verkündet?

Oder ich könnte von der Frau Thomalla erzählen, die an keiner Garderobe vorbei gehen kann, ohne in den Handtaschen zu wühlen. Fehlt irgend ein Seidenschal, so weiss das Personal, wo dieser zu suchen ist. Allerdings ist das Reich der Schubladen der Frau Thomalla fast unergründlich und kann Zeit beanspruchen…

Oder da wäre das Augenzwinkern, das uns der Herr Schibsky anbietet, der nach dem Frühstück sich vorsichtig aus seinem Stuhl stemmt und trocken bemerkt, damit wäre ein Drittel der Arbeit des heutigen Tages getan…

Diese Geschichten erfahre ich von meiner Mutter, während ich neben ihr auf einer Bank an einem kleinen Teich sitze. Wir blättern dazwischen ein Fotoalbum durch, das ich auf ihren Wunsch mitgebracht habe, und das die ersten zwanzig Jahre meines glorreichen Lebens dokumentiert. Dabei sehe ich auf so manchem Bild einen Herrn mittleren Alters, der mein Vater ist, und ich stelle plötzlich fest: Er hat mein Alter. Und während ich mich mit meiner Mutter über den Umgang mit der eigenen Endlichkeit unterhalten kann, fühle ich das Glück, das darin liegt. Denn sie lebt mir etwas vor, dem ich mich auch zuwenden kann, muss oder darf: Dem Blick auf die zweite Lebenshälfte, auf der sie mir weit voraus geht und durchaus auch eine Lehrerin ist. Wer weiss, was mir mal Trost sein darf, weil ich mich an diese Momente erinnern werde?

Es war mir zuvor schon keine schwierige Aufgabe, den Menschen, von denen ich oben erzähle, Respekt zu zollen. Aber jetzt weiss ich, warum. Und ich hoffe, dass dies auch oder gerade in den humorigen Zeilen zum Ausdruck kommt.