Mein Schreiben. Täglich.

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Mir fällt das oft selbst schwer genug...


Bald gibt es nur noch DAS Spiel

∞  8 Juli 2014, 19:42

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Heute steigt an der Fussball-WM die Begegnung aller Begegnungen beim Spiel der Spiele. Die Partie Deutschland gegen Brasilien enthält alles, was ein Fussballfan sich nur wünschen kann. Für die Brasilianer ist Fussball ein Teil der nationalen Identität. Kein anderes Spiel fasziniert die Massen so sehr, kein anderes Land ist im Weltsport Fussball so erfolgreich wie Brasilien. Kein anderer Landsmann macht Sieg und Niederlage der eigenen Mannschaft so sehr zum dominierenden Fakt seiner Gemütslage, ist seelig bis zur Verzückung im Sieg und traurig bis zur Depression in der Niederlage. Das fasziniert und befremdet uns Europäer gleichermassen, und es festigt das Klischee, das wir uns vom Samba-Land weiterhin erhalten werden. So überschäumende Temperamente sind faszinierend und erschreckend zugleich. Aber heute abend wird gleichwohl das geschehen, was sich immer wiederholt: Im Moment des Spiels wird die Faszination weit um sich greifen, ist alle Kritik am Gigantismus vergessen, gilt kein Gedanke mehr der Korruption, der Macht des Geldes, dem rigiden Regime der FIFA bei der Vermarktung. Es gibt nur noch das Spiel. Dann, wenn Brasilien auf Deutschland trifft. Kein anderes Fussballland wird von den Brasilianern mehr geschätzt und geachtet als Deutschland, keine andere Mannschaft hat sich in den letzten zwanzig Jahren so gewandelt wie die Deutschen. Die Zeiten, als sich eine Mannschaft durch Athletik von anderen abheben konnte, sind längst vorbei. Heute wird der Weltsport Fussball in zig Ländern professionell betrieben. Deutschland hat heute ein Team, das Fussball spielt, technisch anspruchsvoll kombinierend, schnell und geradlinig und mit einer Breite an hoch begabten Fussballern, wie sie zur Zeit nicht mal Brasilien hat. Brasilien hat nicht mal mehr Neymar. Brasilien hat seinen jungen Gott verloren, der, als er unter der Last der Hoffnungen im eigenen Land nicht bleischwere Füsse bekam, sondern weiter über den Platz tanzte, nach einem Foul gar nicht mehr aufstand. Neymar wurde – bildlich – der Rücken gebrochen – und Brasilien das Rückgrat?

All die Experten, denen wir so gerne zuhören, denen wir aber kein Wort glauben müssen, weissagen, dass Brasilien nun noch gefährlicher sei, weil Land und Fussballer erst recht zusammen stehen würden und das Team noch geschlossener auftreten würde. Die gleichen Fachleute haben zuvor bemängelt, dass Brasilien ohne Neymar langweilig sei, leicht auszurechnen, apathisch, uninspiriert. Wir werden sehen. Und beobachten können. Jeder Junge träumt von dieser Bühne, auf der heute Abend der Vorhang fällt. Aber wie schwer mag die Last auf manchen Schultern liegen, wenn zweiundzwanzig Fussballer vor zehn Uhr unserer Zeit im Kabinengang stehen und sie hören, wie draussen die Masse murmelt, die Aufregung und Spannung greifbar ist und alles auf diesen einen Moment fokussiert ist, in dem der Ball frei gegeben wird und das Spiel läuft.

Und Deutschland? Zum ersten Mal Brasilien schlagen an einer WM? In dessen Heimat. Diesmal will sich Löw nicht vertun mit einer falschen Taktik wie gegen Italien an der EM. Diesmal will das bessere, ausgeglichenere, individuell kreativere Team seine Vorteile ausspielen und dabei kühl genug bleiben, um im heissen Brasilien gegen die Gastgeber den vorletzen Schritt zu machen, um mit der Regel zu brechen, dass kein europäisches Team in Südamerika Weltmeister werden kann. Wem wäre das zuzutrauen, wenn nicht Deutschland?