Mein Schreiben. Täglich.

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Mir fällt das oft selbst schwer genug...


Aus meinem Moleskine -3- (Verbindliche Werte)

∞  13 Mai 2008, 14:30

Gott mag kein Allgemeingut mehr sein, sterben sollte er dennoch nicht in uns. Ohne Ideologien und Religionen sind wir um so mehr persönlich gefordert, uns Werte zu erarbeiten und zu erhalten, in aller Liebe.

Vor dem TV-Apparat notiert:

Die heutige Zeit kennt nicht viele akzeptierte Lebensmodelle.


Der Satz erstaunt. Leben wir nicht in einer Gesellschaft, die praktisch keine moralischen Vorbehalte mehr kennt, sei es gegen Lesben, Schwule, arbeitende Frauen, alleinerziehende Mütter?

Religion wird diskutiert wie die Erscheinungsform einer philosophischen Lehre, Nietzsche wird gefeiert, und sei es nur in dem einen, aus dem Zusammenhang gelösten Satz: Gott ist tot.

Warum nur legt sich mein Protest gegen das obige Zitat der akzeptierten Lebensmodelle so schnell und weicht einer Betroffenheit?

Urteilen Sie selbst: Sagen wir wirklich ja zu Lebensmodellen, die nicht kompatibel sind mit unseren eigenen? Werten wir nicht doch – oder sind wir zumindest bestürzt darüber, dass die Abkehr von vorgeschriebenen Lebensformen auch von uns selbst nicht leichten Herzens – bejahend – gut geheissen wird? Nach der Laune ja, nach dem Reflex, der um die geforderte Toleranz weiss, nicken wir “das Andere” ab. Und sehnen uns gleichzeitig nach mehr Verbindlichkeit, die wir selbst, für uns allein, kaum herzustellen vermögen.

Was bleibt denn jenseits aller Ideologien und Religionen? Der persönliche Lebensentwurf, der zwangsweise kein Entwurf bleiben kann, sondern sich gnadenlos beweisen muss, wie ein wissenschaftliches empirisches Experiment, das eine Formel darauf prüft, ob sie in der Zeit besteht. Als Menschen, die wir uns über unsere sozialen Kontakte definieren, sind uns unsere Emotionen die massgebliche Essenz, die das Leben würzt und lebenswert macht.

Wir brauchen nicht gläubig zu sein, um zu lieben, und werden in der Liebe doch zu Menschen, die glauben. Dabei garantiert die positive Kraft der Liebe nichts weiter als den lebendig bleibenden Appell an unsere Liebenswertigkeit. Ohne Liebe können wir nicht leben.

Es dürfte gläubigen Christen herzlich egal sein, ob diese Beobachtung an ihnen selbst soziologisch-darwinistisch als notwendige Wesensart der Menschen und damit als Teil einer sich organisierenden und behauptenden Spezies erklärt werden mag.

Sie erleben ihre Glaubensgeschichte genau so:
Die Akzeptanz ihrer selbst durch eine Liebe, die versprochen ist und nicht entzogen wird. Es gibt eine Verlässlichkeit, die nicht einmal an der eigenen Unpässlichkeit, sich immerzu geliebt zu glauben, scheitert. Die Liebe, die hier erlebt wird, ist göttlich und fusst im Glauben, selbst hier und jetzt als dieses Geschöpf Mensch auf dieser Erde gewollt zu sein, mag man noch so oft scheitern.

Mein persönlicher Glaube kann nicht Gegenstand einer philosophischen Diskussion sein. Man kann mich aufgeklärt oder verstockt erleben, mich verbohrt finden oder mir jede Klarsicht absprechen, weil meine Argumente nicht verständlich sind. Doch mein Glaube ist ein persönlicher Dialog. Ich streite vielleicht nicht mit Ihnen, aber sehr wohl mit meinem Gott. Ich hadere. Ich zweifle, fluche, jammere, zaudere und schimpfe. Ich lobpreise, juble, umarme, lache, glaube, weiss alles (besser), bis ich wieder eins auf den Deckel kriege.

Ich rede von einer Beziehung. Im Dialog lerne ich, alle Dinge von mindestens zwei Seiten zu sehen – und sehr oft weiss ich schneller, als mir lieb ist, welches die richtige ist oder wäre…

Welches auch immer die Sicherheiten sind, die Sie selbst in Ihrem Leben finden, mögen Sie das mit Gott oder einer unergründlichen und doch Boden schenkenden Seelentiefe gleichsetzen, möge es die Natur sein, die sich in so vielen Dingen erfolgreich wehrt und doch immer wieder ein Zusammensein anbietet – wir sind von Ideologien frei. Und genau deswegen mehr denn je gefordert, den Ernst zu erkennen, mit dem wir uns eigene Werte schaffen müssen – und gemeinsame, was noch viel schwieriger sein wird, wollen wir unser Gemeinwesen nicht dem Schicksal der Gleichgültigkeit überlassen.