Mein Schreiben. Täglich.

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Mir fällt das oft selbst schwer genug...


Aufregung – und dann?

∞  6 März 2011, 20:08

Nach derAufregung folgt der Click. Und dann? Was hat ein solcher „Protest“ mit mir selbst zu tun?


Es ist noch nicht so lange her, da hat uns das Schicksal um die Schweizer Geiseln in Libyen beschäftigt – und die offensichtlich tyrannische Chuzpe, mit der die Gadhafi-Familie sich um politische und diplomatische Gepflogenheiten einen Deut geschert (und es ärgerlicherweise auch offen gezeigt) haben. Es gab Aufrufe zu Gedenkaktionen mit virtuellen Lichterketten, Facebook-Aktionen, Twitter-Aufrufe etc. Die Geiseln sind zurück, auch Herr Göldi, aber natürlich aus anderen Gründen. Dennoch mögen die Aktionen aus der Schweiz moralische Unterstützug geboten haben. Ich wäre der Letzte, der das lächerlich machen wollte.
Zu Guttenberg ist zurück getreten. Vielleicht hat er den unvermeidlichen Schritt hinaus gezögert, weil ihn die Sympathiekundgebungen bei Facebook in der Annahme bestärkten, den Rückhalt im Volk zu geniessen. Und tatsächlich war es ja erstaunlich, wie schnell wie viel Menschen sich bei Facebook in Pro-Guttenberg-Seiten eingetragen haben.
Wir sind schnell bei der Hand, wenn es darum geht, uns Pro oder Contra mit einem Click zu äussern. Wir lassen uns aufregen und erregen – aber bewegen wir uns auch?
Ich kriege von Amnesty International seit meinen Blog-Aktionen für Herrn Göldi regelmässig Aufforderungen und Einladungen, andere Protestaktionen zu unterstützen. Immerhin bemerkenswert, dass die Organisation damals auch zweimal versuchte, mich auch telefonisch zu kontaktieren – mich aber selbst nicht ans Telefon kriegte. Dennoch: Die Amnesty-Aktionen haben oft wenig mit mir selbst zu tun, auf jeden Fall mag ich es nicht in jedem Fall so klar zu erkennen. Und wenn schon, dann bleibt die Frage: Und was folgt nach dem Aufruf, nach dem Click, nach dem Blog-Artikel?
Und die Fans von zu Guttenberg? Sind vor allem Klickvieh. Das ist keine Beleidigung, sondern eine Tatsache. Denn die Aufrufe zu Sympathiekundgebungen, bei denen sich die Clicker mit dem eigenen A… auf die Strasse hinaus begeben müssten, haben erbärmlich schwachen Zustrom erfahren. Deshalb stellt sich die Frage:
Was ist eigentlich mit uns los? Wer immer in Not ist und um unsere Unterstützung bittet – was kann der wirklich von uns Clickern erwarten?
Wir empören uns über das Vorgehen des Gadhafi-Regimes in Libyen – und schämen uns für die Realpolitik, die unsere eigenen Staaten mit Libyen betrieben haben – und weiter betreiben. Aber hat denn einer von uns etwa danach gefragt, was denn eigentlich zur Zeit mit dem Libyschen Öl geschieht, das ja laufend gefördert wird? Wird es gekauft? Und von wem? Und lassen wir das Auto stehen, wenn die Tamoil-Tankstelle die „einzig verfügbare“ ist? Nehmen wir wenigstens 500 Meter Umweg in Kauf? Und ist es uns, ganz ehrlich, nicht egal, woher das Heizöl kommt, das uns nächsten Winter den Hintern wärmt?
Die Informationsflut ist gigantisch. Wir wollen nichts verpassen, überall dabeisein, und meinen doch tatsächlich, wir betrieben mit ein paar Clicks Insubordination. Tatsächlich aber laufen wir uns mit unseren Aufregern tot. Nach der fünften grossen Empörung können wir sie uns selbst nicht mehr richtig glauben.
Oft schreien wir wohl, weil es gut tut, sich schreien zu hören, womöglich im Chor mit anderen. Aber oft wäre es besser, einen Tag länger nachzudenken, und dann einfach einen Artikel zu schreiben. Der ruft dann vielleicht zu gar nichts auf, aber er lässt ein paar Menschen mitdenken. Und daraus wird nichts Zählbares, aber womöglich etwas Fühlbares, das sich weiter erzählt: Eine Meinungsbildung, welche plötzlich eben doch eine Haltung beeinflusst, ändert, stärkt, sichtbar macht.
Nach der Aufregung mag der Protest kommen. Gebracht hat dieser in der Retrospektive aber nur dann etwas, wenn daraus eine Lehre gezogen wird. Dass sie in der Politik nicht erkennbar ist, spricht nicht dagegen. Denn es geht immer auch und erst um uns selbst: Wir müssen uns nicht von allem aufregen, aufrütteln lassen. Ich kann Aufrufe von Amnesty International auch unbeachtet lassen. Aber wenn ich irgendwo einen Click ausführe, wenn ich einen Aufruf unterschreibe, wenn ich eine Aktion weitertrage, dann sollte ich danach immer fragen: Und nun? Was ist meine ganz persönliche nächste Entscheidung?
Das erscheint dann in keiner Statistik. Aber es hat Folgen. Für mich. Und damit für meinen Glauben in mögliche Veränderungen. Diesen Glauben mache ich jederzeit in allererster Linie mit mir selber aus.
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