Mein Schreiben. Täglich.

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Mir fällt das oft selbst schwer genug...


Auf dem Weg zur Spitze geht die Haltung verloren

∞  27 Februar 2013, 18:15

Zum Tod von Stéhane Hessel habe ich heute einen O-Ton von ihm vernommen, in dem er davon spricht, dass es in der Tat empörend sei, dass ein Prozent der Menschen so superreich seien, dass sie über den Rest bestimmen würden. Nun, ich finde, dass sich durchaus begreifen lässt, wie es dazu kommt. Einer von Hundert? Das wäre gar nicht so schlecht. Mich macht denn auch nicht die Tatsache müde, dass es fast unmöglich scheint, eine Umverteilung vorzunehmen, zumal uns auch die Ideologien fehlen, die sich das Recht dazu wirklich herausnehmen würden. Oder könnten.

Nein, meine Wehmut und Bestürzung hat ihren Ursprung in einer anderen Beobachtung: Wie ist es möglich, dass man so ganz on the Top keinen Weg findet, altruistischer zu werden?

istockphoto.com/MHJ

Warum steht am Ende die noch grössere Gier an Stelle der Gestaltung einer menschlicheren Welt? Warum lässt sich dieses Ziel nicht als Firma verfolgen und erscheint daher Altruismus als rein persönlicher Lebenssinn, eine Art Hobby, das ausscheidende Manager und Firmengründer dann Stiftungen gründen lässt? Warum bleibt diese Energie nicht in den Unternehmen erhalten, kann sich da nicht ausbreiten?

Wie cool uns doch Apple einmal erschien, nicht wahr? Daraus ist ein Platzhirsch geworden, der mit immer rigideren (oder rigoroseren) Massnahmen begann, seine Produktionswege weiter zu optimieren, um die exorbitanten Gewinnmargen noch mehr in die Höhe zu treiben. Der sich in Patentstreitigkeiten mit allen Konkurrenten verzettelt, statt wirklich den Geist der Innovation als Message eines Teamspirits in die Welt hinaus zu tragen – oder einfach dafür weiter zu stehen. Nein. Wer das Establishement erobert, wird selbst zum Pinkel. Das scheint ein Naturgesetz zu sein. Es scheint keine IT-Firma an der Spitze zu geben, die sich nicht beim Thema Kinderarbeit nass gemacht hätte. Es gibt keine Weltfirma, in der Kostenoptimierung nicht zum Kontrollwahn mutieren würde, keine Firmenstruktur, die auf diesem Weg nicht folgendes Phänomen erfahren würde: Grassierende Spitzengehälter an der Spitze, immer mehr Kostendruck an der Basis.

Das Marekting all dieser Firmen hat die Schlagworte zum Thema Nachhaltigkeit schon missbraucht, um eigene Produkte und Dienstleistungen zu verkaufen. Aber keine Firma macht sich die entsprechende Haltung zu einem Teil der Identität, will sich daran messen lassen und fordert damit auch die Konsumenten zu ensprechenden Bekenntnissen heraus:

Es gibt die Firma schlicht nicht, schon gar nicht an der Spitze, die nicht nach dem Prinzip des “sowohl als auch” verfährt: Es gibt unsinnige Sportwagen und Hyprid-Fahrzeuge. Der Kunde soll in dieser Frage entscheiden, mag man ihn sonst als noch so manipulierbar und unmündig betrachten. Wo ist die Firma, die nicht einfach ein bisschen fair sein will, oder ganz besonders fair in einer Nische, sondern die antritt, um prinzipiell fair, nachhaltig, sozialverträglich, umweltgerecht zu denken und zu handeln?

Die Menschheit leidet daran, dass den Erfolgreichsten das Gefühl der Eigenverantwortung verloren geht. Wer zweiter ist, will erster werden, wer Leader ist, fürchtet eingeholt zu werden. Im Wettstreit um Marktanteile ist niemand bereit, ein Credo aufrecht zu erhalten, wenn man damit die Kunden nicht kaufen kann. Oder nicht so leicht. Und so hägen eben die grössten Windbeutel an den höchsten Fahnenstangen.