Mein Schreiben. Täglich.

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Mir fällt das oft selbst schwer genug...


Auch Fabriken sind mobil

∞  10 Februar 2011, 20:30

Globalisierung. Es bedeutet oft nur, dass sich die Beschaffungsmärkte verlagern – inklusive Fabriken. Die Fabrik wandert zu den Arbeitern. Gewissermassen. Beklagen muss man daran nicht das Treiben der Asiaten. Das wäre einfach nur dumm. Denn es wird nur produziert, wonach gefragt wird. Ein Fallbeispiel.


Es ist wieder so weit. Der Messerummel wartet. Dabei lässt sich Jahr für Jahr auch in diesem Branchen-Terrarium feststellen, welche Umwälzungen der Markt erfahren hat.
Ich kann mich an Zeiten erinnern, als wir Asiaten vom Messestand scheuchten, bevor sie ihre Fotoapparate zücken konnten. Tempi passati. Heute sitzen sie an den Ständen in den Besprechungszimmern – oder stellen selber aus. Der Markt wird, ist er mal global geworden, nicht wirklich grösser. Er verlagert sich nur. Aber es ist nicht nötig, dabei auf die Asiaten im Allgemeinen und die Chinesen im Besonderen zu schimpfen. Denn schlussendlich halten sie uns nur den Spiegel vor.
Wir sind schliesslich bereit, in China zu prodzieren, mit maximalem Risiko bei minimal 50.1% Fremdbestimmung. Der Profit ist der schnelle Verkauf weltweit zu minimalen Kosten. Und da die Chinesen doch bestimmt auch vorwärts kommen wollen, geht die Rechnung auf – wenn man schnell Gewinne realisiert. Alles andere blenden wir aus. Der Westen ist es, der kein Halten kennt. Ein Beispiel aus meiner Anschauung:
Ein Kernprodukt mit guten Absatzchancen in vielen Ländern der Welt. Das einfach scheinende Produkt ist aber kompliziert herzustellen. Im Prozess müssen viele chemische und physikalische Verfahren angewendet werden, mit Belastungen für die Umwelt. In europäischen Produktionsanstalten wird – an einigen Orten mehr, an anderen weniger – darauf geachtet, dass Rückhalte-, Rückführungs- und Filtersysteme die Umwelt schonen. Das ist teuer, macht aber auch stolz auf das Kompetenzwissen. Weltweit gab es damals nur etwa fünf Anlagen, die das Produkt überhaupt herstellen konnten. Dann wurde eine Produktionsstätte in Europa renovierungsbedürftig – und bei der Gelegenheit wurde auch mit den Umweltauflagen nachgezogen – mit gutem Grund. Das Ding war eine Dreckschleuder für die Umwelt.
Folge: Die Fabrik wurde stillgelegt. Der Maschinenpark aber wurde verkauft. Nach China. Und dort wieder aufgebaut. Sie müssen sich dafür eine ganze sehr geräumige Fabrik vorstellen, obwohl es nur ein einzelnes Produkt für den Haushalt zu produzieren gibt.
Die Qualität, die damit produziert werden kann, ist ungenügend, um es höflich zu sagen. Umweltrichtlinien werden in China (noch) unbuchstabiert beiseite gelassen. Das spart Kosten – hinzu kommen Wanderarbeiterlöhne, die selbst Koreaner lieber in China produzieren lassen. Und wer, denken Sie, hat dafür gesorgt, dass das Produkt seinen Platz am Markt gefunden hat? Europäische Grosshändler und Detaillisten. Ihnen war schlecht und billig gut genug – und was kümmert mich mein Geschwätz über Nachhaltigkeit, wenn der Kunde Discount will?
Was an dem Beispiel am meisten beunruhigt, ist die Dynamik, mit der ganze Fabriken verschoben werden. Und es braucht dafür je länger je weniger. Das nennt man dann Wettbewerb. Ein Beispiel, von dem wir alle lesen konnten, waren gerade die Spielzeugfabriken. 90% des Spielzeuges weltweit wird in China produziert. Nach den neusten Fällen von gesundheitsgefährdenden Schadstoffen in Spielzeugen ist der Ruf der Branche sehr schlecht. Das hätten die europäischen Beschaffer ausgesessen – und die europäischen Herstellerfirmen auch, die in Lizenz in China produzieren liessen. Aber dann verschob die chinesische Regierung ihre eigenen Gewichtungen – und verfügte 10% höhere Löhne für Wanderarbeiter. Das treibt nun verschiedene Akteure dazu, Pläne zu schmieden, die Produktion wieder nach Europa umzulagern…

Wenn wir von Globalisierung reden, dann reden wir von einem Fussballspiel, bei dem nur für die eine Mannschaft die Offside-Regel gilt. Verschiedenste Produktionsfaktoren werden unterschiedlich von Staates wegen protektioniert. Kein einziges Land weltweit bezahlt für Energie, was Energie wirklich kostet. Nur so zum Beispiel. Als der Dollar zu schwächeln begann, waren mit einem Schlag in China in gewissen Bereichen keine Waren mehr auf Dollarbasis zu bekommen. Fortan musste in Euro bezahlt werden. Kontrakte, Jahresabschlüsse und Devisenabsicherungen bei den Käufern hin oder her. Der Staat lässt gewähren, der Staat lässt’s auch mal scheppern. Das nennt man hierzulande dann „die Risiken im Einkauf“, und lässt sich diese mit Margenreserven im Regal absichern. Wer will schon beurteilen, ob sie nicht wirklich doch nötig sind? Beurteilen aber lässt sich, dass mit steigenden Überseeimporten im Bereich der kommunen Haushaltwaren und der Lebensmittel die Qualität und die Sortimentsbreite nicht zu-, sondern abnimmt. Die Chance, dass sich drei unterschiedlich gute Varianten eines Bedarfsartikels zu unterschiedlichen Preisen im Regal halten ist kleiner, als dass Sie mit der Zeit drei günstige Produkte in Nuancen vorfinden. Die Sortimente dünnen sich in der Mitte aus. Mit Edelerzeugnissen wird versucht, Margenerosionen zu kompensieren – wenigstens so lange, wie der Wettbewerb wirklich auch bezüglich Qualitätsanforderungen spielt. Nur findet dieser Wettbewerb global nicht statt: Eine Internetauktion ist immer auf den Preis fokussiert. Kaum je dürfte das beste Produkt gesucht werden. Das billigste aber schon. Der Preis zieht an, ist wie Magie. Und darum, liebe Leser, werden weiterhin Fabriken über die Ozeane transportiert werden.