Mein Schreiben. Täglich.

Teilen Sie mit mir unbeschwerte und schwere Gedanken in Prosa oder Lyrik und versuchen Sie, Grau in Blau zu verwandeln - unter welchem Himmel auch immer.

Mir fällt das oft selbst schwer genug...


An einem Ende

∞  25 Februar 2011, 19:42

Ein Spaziergang, bei dem nicht nur mein Körper eine Hauptrolle spielt…


Endlich finde ich wieder einmal die Ruhe und die Zeit für einen ausgedehnten Spaziergang über die weiten Felder rund um “meine” Dörfer. Und so gehe ich ohne festes Ziel, entscheide mich an jeder Kreuzung neu für meinen nächsten Weg, und da ich mir die nötige Zeit für einen allenfalls weiteren Rückweg nehmen kann, denke ich dabei nicht weit voraus, sondern entscheide jeweils spontan. Grau hängt die Feuchtigkeit am Himmel, der sich in Pfützen auf dem Asphalt spiegelt. Ich lausche meinem Körper. Ich fühle mich in diesen Monaten nicht wirklich so sicher und so geborgen in ihm, wie vor der Nierensteinoperation. Und bald werde ich ihn der gleichen Prozedur nochmals aussetzen müssen. Aber hier und jetzt, in der Ruhe und mit der Freiheit, Zeit zu haben, freue ich mich daran, dass mich meine Schritte tragen und ich mich in meiner warmen Jacke behütet fühle. Meine Körpertemperatur ist mir Heizung für Brust, Schultern und Kreuz. Ich bin dankbar dafür, dass ich so gesund sein darf, wie es nur möglich ist. Und doch will ich nach einiger Zeit mich Menschen wieder etwas näher wissen, und so wähle ich einen Weg, der eine Schlaufe zieht und durch den Dorfkern führt. Dann gehe ich einen Fusspfad in einer Wohnsiedlung entlang, an einem Spitex-Gebäude vorbei. An der Ecke steht ein Café, ein Bistro, geöffnet tagsüber, für den kleinen Hunger und die kleine Abwechslung betagter Menschen. Ein Wohnarrangement, eine Lebenszelle für Menschen, deren Welt kleiner geworden ist. Ich setze mich auf eine Bank unter einer Laube. Im Winter ist das immer ein einsamer Platz, aber windgeschützt und sehr still. Mein Blick ruht auf den Pflastersteinen vor mir, als sich Schritte von rechts nähern.
Ein Mann in schwarzer Hose, schwarzem Gilet, schwarzer Krawatte und grauem Hemd schiebt auf einem Rollwagen einen Sarg an mir vorbei. Der Sarg ist aus hellem Buchenholz, wirkt absurd schäbig und leicht, und es scheint, als würde der Deckel beim nächsten Ruckeln runterfallen.

In aller Regel habe ich keine Mühe mit der Vorstellung, dass auch ich eines Tages zu Staub verfallen werde, im Grunde nie ohne Leben, aber einer Verwesung überlassen, die ihr Gesetz auch an mir erfüllt. Aber dieser Sarg, diese absurd wirkende, mich so überfallende Szene setzt mir zu. Der junge Mann, der den Sargkarren schiebt, lacht unbeschwert seinem Chef entgegen, der beim Auto wartet, wobei er auf die Uhr blickt. Die beiden haben mit der verstorbenen Person weniger zu tun als ich mit meinem Wocheneinkauf. Ausser den Beiden ist niemand auf der Strasse. Im Café sitzt ein alter Mann, der den Blick schnell wieder in einer Zeitung versteckt. Es könnte gerade ein Lastwagen vorbei fahren, ich würde ihn nicht hören. Ich bin taub, kann aber dies alles nur beschreiben, weil ich unwillkürlich aufgestanden und hinter dem Sargkarren her gelaufen bin. Als wollte ich Geleit geben, als müsste da jemand sein und hinsehen. Herz zeigen für ein Herz, das nicht mehr schlägt? Absurd. Tier müsste man sein. Denn ausser weiter leben ist da nichts, was zu tun wäre. Die Einsamkeit in der Endgültigkeit – Tote lassen vor allem den Schrecken zurück, dass man selbst folgen wird… Hier scheint niemand einen Schrecken zu haben, niemand trauert. Ein Tod ohne Gesicht.
Ich gehe am grauen Kastenwagen vorbei, sehe, wie die hineingeschobene Kiste einen karierten Notizzettel angeklebt bekommt. Den Namen versuche ich nicht zu lesen. Verwechselt soll bis zum Schluss offensichtlich nichts werden… Die Ordnung, die wir suchen… auch sie absurd, angesichts der einzigen gültigen Ordnung, die es wirklich gibt. Ich bin weiter gegangen, schneller. Der Kastenwagen überholt mich, und ich sehe noch, wie der Beifahrer den Sicherheitsgurt anlegt. Aus dem Rückfenster leuchtet eine dort aufgehängte Überwurfjacke mit oranger Signalfarbe. Auch dieses Fahrzeug kann einen Unfall haben, ich weiss. Und Vorschrift ist Vorschrift. Diese letzte Ehre bleibt. Wir gelangen sicher ins Grab.


abgelegt in Tagebuch
und
Zeit und Leere