Mein Schreiben. Täglich.

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Mir fällt das oft selbst schwer genug...


Amerika wählt, Europa wundert sich. Wie immer.

∞  8 Oktober 2012, 19:57

Die USA steht vor den nächsten Präsidentschaftswahlen. Und sie werden auch uns in Europa wieder beschäftigen, weil wir ihnen seit sechzig Jahren die grössten unmittelbaren Auswirkungen auf die ganze Welt zudenken. Und weil der US-Wahlkampf wie kein anderer medial ausgeschlachtet wird, sind die Bilder und Berichte dazu auch für die hiesigen journalistischen Gefässe ein grosses Fressen.

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Dabei ist zu vermuten, dass die wenigsten Amerikaner ihr Land und sich selbst in den hiesigen Einschätzungen und Berichten erkennen würden. Wenn es eine Konstante in der Berichterstattung in Europa zu diesen Wahlen gibt, dann wohl diese:

Wir verstehen das Wesen der US-Demokratie nicht.

Nach den Wahlen wird Amerika, egal ob in rot oder blau gewandet, als Retter oder Überbringer der Demokratie wieder durch die Welt schreiten und die eigenen Auftritte als Demokratiehüter zelebrieren. Jetzt aber sind wir Europäer die nüchternen Protestanten, welche über die Vorgänge in der US-Wahl geradezu den Kopf schütteln.

Stossen kann man sich an so Vielem. An der zunehmenden Härte des Wahlkampfs, in dem es vor allem darum geht, die Gegenseite zu diskreditieren. koste es was es wolle – denn der Wahlkampf verschlingt hunderte von Millionen Dollars, wenn nicht Milliarden. Die Bürger können auch nicht einfach wählen, sondern müssen sich zuvor rechtzeitig in ein Stimmrechtsregister eintragen lassen. Hinzu kommt ein Zwei-Parteiensystem, das Auseinandersetzungen in rhetorischer Schwarzweissmalerei fördert, faktisch aber bedingt, dass sich die Politker von links wie rechts um die Mitte bemühen müssen, so dass dunkel- und hellgrau zu Standardfarben werden.

Zudem ist es in der jüngsten Geschichte wiederholt zur Konstellation gekommen, dass ein amerikanischer Präsident mit einem von der Gegenpartei kontrollierten Kongress in seiner Handlungsfreiheit massiv eingeschränkt war. Ein Missstand, der sich zunehmend akzentuiert, weil die Kompromissbereitschaft im politischen Diskurs zu einer Agitation verkommt, die es gar nicht mehr zulässt, auch nur leisestens in den Verdacht zu kommen, mit einem Kompromissangebot eigene Schwäche anzudeuten.

Dies alles befremdet uns Europäer sehr, weil wir es in dieser prekären Ausgestaltung, samt der medialen Ausschlachtung, nicht kennen. Am deutlichsten aber wird die Kluft zwischen Europa und den USA aber dann, wenn namentlich die Kandidaten der Republikaner für das Präsidentschaftsamt vorzustellen und zu beurteilen sind. Die Europäer sind regelmässig entsetzt über das mangelnde Wissen der Kandidaten über alles, was auf dem alten Kontinent Grundlage ist, peinlich berührt über die höchstens hemdsärmelige Intelligenz und einigermassen erschüttert über die offensichtliche und schamlose Verkörperung, dass Geld und entsprechendes Netzwerk die einzig wirklich überzeugende Basis für die Führung der weltweit mächtigsten Militärmacht und der zur Zeit noch mit führenden Volkswirtschaft sind. Dazu kann der Amerikaner wohl nur den Kopf schütteln. Während er bei den Wahlen danach fragt, welche Partei und welcher Kandidat die Kraft hat, den amerikanischen Traum von der Tellerwäschekarriere möglich zu machen, träumen die Europäer von dem amerikanischen Präsidenten, der die Welt verbessert. Das sind zwei verschiedene Persönlichkeiten.

Fragt man Europa, und daselbst vor allem die Presse, dann hat Mitt Romney keine Chance. So wie G.W. Bush doch keine Chance haben konnte. Es könnte sich erneut als grosse Fehleinschätzung erweisen. Bis dahin wird mit dem Prasidentenwahlkampf-Theater auf vielen grossen Bühnen noch sehr viel Geld verdient, auch und gerade mit der Berichterstattung. Eine Fernsehdebatte, in der Mitt Romney nicht, wie in den Medien prognostiziert, rhetorisch deutlich unterlegen war, genügt, um nun alle schreiben zu lassen, dass die Trendwende möglich sei: Alle Welt schreibt und verdient sich bei diesem Spiel dämlich – und am Schluss haben wir einen Präsidenten, der unserem Nervenkostüm gut oder nicht so gut oder schlecht tut. Was er für die Welt bedeutet, wird abzuwarten sein. In Peking wird man dem Treiben um Einiges gelassener zusehen als bei früheren Gelegenheiten…