Mein Schreiben. Täglich.

Teilen Sie mit mir unbeschwerte und schwere Gedanken in Prosa oder Lyrik und versuchen Sie, Grau in Blau zu verwandeln - unter welchem Himmel auch immer.

Mir fällt das oft selbst schwer genug...


Alter begegnet Respekt

∞  20 August 2013, 23:41

Lange Schlange an der Kasse beim Discounter. Unruhe kommt auf. Durch die Menschen, an Körben und Einkaufswagen vorbei, drängt sich eine alte Frau nach hinten. Sie geht am Stock und verschafft sich Platz und Durchgang nicht durch Wasserverdrängung, sondern mehr durch das Gegenteil: Es ist, als hätte man Angst, man könnte sie verschlucken, wenn man nicht aufpasst.

Dann schaut sie am Ende der Menschentraube an der Kasse dem letzten Kunden ins Gesicht:

“Warum ist die Schokolade nicht mehr hier?”

fragt sie leicht genervt und vorwurfsvoll.
Nun, unter uns gesagt, die war hier nie zu finden. Neben der Kasse stehen seit ewigen Zeiten Spirituosen und Raucherwaren. Der leicht enervierte Kunde will sie in die Tiefen des Ladens schicken, denn die Schokolade findet man tatsächlich weit hinten. Aber da ist schon eine Verkäuferin zur Stelle. Wo ist sie nur her gekommen?

Ein junges Ding mit Piercings in der Lippe und Tattoos an beiden Oberarmen fragt verständnisvoll mit einer Engelsstimme:

“Was brauchen Sie denn?”

Lindor-Kugeln sollen es sein, erfahren wir, und dazu hebt das alte Weib leicht angriffig ein bisschen die Hand, die den Stock hält…

Gut hat sie gefragt, meint die Verkäuferin: Lindor-Kugeln sind nämlich nur bis Ende Juli im Angebot.

“Also holen Sie mir nun die Lindorkugeln? Dir roten mag ich am Liebsten.”

“Nein, liebe Frau, die gibt es jetzt nicht.”

Die Verkäuferin kombiniert aber richtig:

“Wenn Sie ein Mitbringsel suchen, dann haben wir zur Zeit von Lindt sehr leckere assortierte Geschenksäcklein”,

spricht der tätowierte Engel, und es tönt wie die Segenssprechung in der Kirche. Sie greift ins Aktionsregal, das tatsächlich in der Nähe der Kasse steht.

“Da muss aber der Preis weg”,

meint die alte Dame streng, und die Verkäuferin rubbelt ihr tatsächlich den Preis von der Verpackung, um ihr anschliessend an der Extra-Kasse den Einkauf auch zu tippen – so lange sie und vor allem die alte Dame noch weiss, was das Leckerli kostet, bevor womöglich das alte geplagte Hirn der Zweifel beschleicht, ob sie nicht vielleicht ausgenommen werde, weil sie doch so alt ist.

Was für ein wunderbares Beispiel demütiger, professioneller, schlichter und guter Arbeit einer Verkäuferin! Und am Ende gehen alle zufrieden in den weiteren Tag. Auch die Menschen in der Kasse bleiben ganz still, die Verzögerung ist kein Thema mehr.

Ganz wunderbar.

Ach ja, noch etwas: Wir alle werden an der nächsten Ecke nicht auf so viel Menschenliebe stossen. Und damit besser umgehen können als die alte Frau…