Mein Schreiben. Täglich.

Teilen Sie mit mir unbeschwerte und schwere Gedanken in Prosa oder Lyrik und versuchen Sie, Grau in Blau zu verwandeln - unter welchem Himmel auch immer.

Mir fällt das oft selbst schwer genug...


Alle irgendwie im Krieg - oder ganz konkret

∞  29 November 2012, 17:53

Israel befindet sich im Krieg. Für uns ist der Konflikt um den Gaza-Streifen vielleicht ein territoriales Scharmützel, das in seiner Eskalation einfach die absurde Gewalt und die quälende Ausweglosigkeit des Konflikts seit vielen Jahren zeigt. Wir schrecken auf, haben wir uns das Problem doch zuvor schon fast von der Nachrichtenlandkarte wegvergessen.

istockphoto.com/koun

Für die Juden weltweit und die Israeli im Land und ausserhalb ist der Gaza-Konflikt etwas ganz anderes: Er beweist ihnen, dass Israel von Nachbarn umzingelt ist, die entweder das Existenzrecht Israels offen negieren oder aber wohl nur ein Lippenbekenntnis pro Israel abgeben, weil die militärische Faktenlage und die politische Opportunität nichts anderes zulässt. Diese in immer mehr Teilen der arabischen Welt mindestens von politischen “Parteien” immer offener kund getane grundsätzliche Ablehnung Israels ist genau so wenig zu akzeptieren wie die Sackgasse, in der sich die Palästinenser unverändert befinden. Die offene Feindseligkeit des Irans, mit der schiitische Politik in Extremis betrieben wird, das triezende Ränkespiel rund um die Entwicklung einer Atombombe, der Verrat an den Urhebern der ägyptischen Revolution durch die Muslim-Brüderschaft rund um Mursi in Ägypten mit den moderaten Kräften als bare Verlierer – es kann einem als Israeli schon bange werden. Und die Situation liefert Israel jedes Argument, sich am Ende auf das einzige zu verlassen, was ganz sicher einforderbar bleibt: Die eigene militärische Stärke und den Willen der Bürgerinnen und Bürger, den Staat zu verteidigen. Damit lässt sich jetzt für Netanyahu auch wunderbar Wahlkampf machen – und dabei hat er keine Hemmungen.

Auch dies gilt für beide Seiten. Über den Einsatz aller Mittel auch per Social Media war hier schon die Rede, ich möchte aber ein Beispiel aufgreifen, das, wie ich finde, auf extrem bedrückende Weise aufzeigt, wie vertrackt die Kriegssituation ist – wie aberwitzig und absurd sie wird, so bald man die Menschen in den Uniformen sieht, die niemals aus Stahl sind, höchstens von ihm durchbohrt werden.

Die Militärzeitschrift “Tactical News Magazine” veröffentlicht auf ihrer Facebookseite ein Posting (Click aufs Bild führt zum Eintrag) mit diesem Foto eines Besuchs von Netanyahu bei einer Fraueneinheit der israelischen Armee:



Und dazu möchte ich aus dem Kommentarschwulst zitieren:

Wow! The Army of God! | bewerbungscouch? | the sexiest rifle ever! | my kind of women !

Gesichtsausdruck der Soldatin im Vordergrund, die wie eine Lara Croft – Figur wirkt, die ganze Atmosphäre des Fotos und die Kommentare. Es ist keine Frage: Israel verteidigt sich, und dieses Gefühl hinter der Waffe, für die richtige Sache und die richtigen Leute einzustehen: Hier wirkt es wie ein Pfadfinderabenteuer und wird geradezu comicartig inszeniert. Es braucht diese Stimmung, bevor der Kopf zwischen die Schulterblätter gezogen wird, wenn es heisst, ohne weiteres Nachdenken zu folgen. Und die Gesichtszüge werden sich ändern…
Mir als distanzierterem Beobachter zieht sich der Magen zusammen. Und das hat nichts damit zu tun, dass hier Frauen unter Waffen stehen. Das ist in Israel und nicht nur da eine Selbstvertsändlichkeit. Nein, es geht um die Dinge, welche das Foto nicht zeigen will und die doch so leicht zu erkennen sind.

Was im Internet zur Zeit los ist, wie sich die Propaganda auf beiden Seiten verselbständigt, und wer nach der reinen Farbe eines Postings seine “Daumen-hoch-Zustimmungen” vergibt, ohne dass noch jemand überlegen würde, was in den einzelnen Botschaften für eine innere Aussage steckt – das alles beunruhigt mich sehr: Gerade an diesem Internet-Feldzug wird sehr deutlich, wie der rhetorisch immer militanter werdende Krieg mit Worten konkrete Auswirkungen auf die Konfliktentwicklungen haben kann: Die Menschen glauben, was sie nachplappern, und das Geschwätz von gestern interessiert morgen nicht mehr niemanden – es wird unmerklich Teil der eigenen Haltung, die erst als ganzes indifferent wird und dann um so leichter zu manipulieren ist.

Wir sollten alle darauf achten, was hier ein konkreter, schlimmer Konflikt mit uns Menschen macht, und uns fragen, wo wir hinkommen, wenn wir eine andere Haltung immer von einer Bedingung abhängig machen. Erst Du, dann ich, aber nur vielleicht?

Druck erzeugt Gegendruck. Dabei finden sich Palästinenser und Israeli doch in einer Sehnsucht wieder: Beide möchten eines Tages ihre Identität als Staat und Gesellschaft nicht im Antireflex auf Bedrohungen erkennen, sondern mit der konstruktiven Entwicklung einer autonomen Gestaltung der eigenen Gesellschaft in Frieden beginnen dürfen.