Mein Schreiben. Täglich.

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Mir fällt das oft selbst schwer genug...


Abstellhalle Altersheim?

∞  18 August 2008, 18:58

Das ist nun mal wieder ein richtig attraktives Thema für einen Blogeintrag, nicht wahr? Warum eigentlich nicht? Altersheime als Tabuzonen? Wie wird uns diese Rechnung mal selbst präsentiert werden?


Meiden Sie es auch wie die Pest: Das Gebäude im Dorf oder am Rande des Dorfes. Das Altersheim?

Ich bin noch in einer Zeit gross geworden, da gingen die Grosseltern, also die Frauen, wenn die Männer gestorben waren und das Haus zur Last zu werden drohte, ganz gern ins Altersheim. Da wartete dann die Musse, und man oder vielmehr frau hoffte, dass noch ein paar Jahre anstehen würden mit Jass-Nachmittagen, Kulturverein, Stadtbummel und Lesekaffeekränzchen in der Gemeindebibliothek. Man war noch alt im Altersheim, aber ganz lebendig.

Als Junge waren mir zwar die sonntäglichen Rituale mit dem Besuch am schönsten Nachmittag oft ein Greuel, aber na gut, dann halt eben.

Dann eines Tages, oder vielmehr eines Jahres, erlebte ich eine Weihnachtsfeier, von der ich mich wohl nie ganz erholen werde. Mich umgab an diesem Abend kein Leben. Es schien mir, als würde das Siechtum von allen Seiten nach mir greifen, täppische, beklemmend-kindliche Demenz, wo ich auch hin blickte.
Das Schlimmste aber waren die Betreuer und die Stimmung, die durch die Feier verbreitet wurde. Die Trostlosigkeit hatte alles verschluckt, ja es schien mir gar, sie ginge vom Pflegepersonal und vom Pfarrer aus.

Ich begriff, dass Altersheime zu Abstellhallen geworden waren, Pflegeheimen ohne Krankenbettgestelle – die warteten in der besagten, angegliederten Abteilung schon, als letzte Station. Die Gänge füllten sich mit stumpf vor sich hin starrenden Wesen mit verwirbeltem, brüchigem und lichtem Haar und verwirrten Augen – oder, im Stadium danach, mit stumpf gewordenem fraglosen Blicken.

Heute versuchen die Menschen, so lange wie möglich daheim zu bleiben. Länger als möglich. Wer kann, zieht in die Alterswohnung. Lieber allein sein als so zusammen geschlossen.
Wer mit lichtem Verstand den Weg wählt, leidet ob der Atmosphäre. Denn er kann nicht, wie ich früher, mit kindlichem Schalk das unmotivierte Gepolter eines verwirrten alten Mannes aufnehmen und daraus einen Schalk gestalten, der allen gut tut.
Nein, man ist selber alt geworden, ohne dass man nur noch daran erinnert werden wollte. Mit ein bisschen verbliebener Rebellion ist man in einem Altersheim wirklich an einer letzten unmöglichen Lebensaufgabe angelangt.

Die Bürokratie und die Administration folgt der Gesellschaft auf dem Fusse. Und so macht unser Gesellschaftssystem, das sich wunderbar demaskierend plastisch im Gesundheitswesen spiegelt, das Leben im Altersheim erst recht zur Hölle.
Jedes Pflästerchen, jeder Tee, zur Unzeit serviert – also dann, wenn die Bewohnerin wirklich danach verlangt – kostet extra. Der Arzt hat Sprechstunde am Dienstag Nachmittag. Das heisst, er geht dann von Tür zu Tür. Braucht man ihn nicht, so findet man auf der Abrechnung wenn möglich den Posten:


Aktenstudium in Abwesenheit des Patienten.


Wir haben es geschafft: Wir klagen so sehr über unser teures Gesundheitssystem und über die immer höheren Prämien, dass das privatisierte System mit Kostenoptimierung antwortet. Und weil wir alle, spätestens, wenn wir dann mal krank sind, wirklich alles ausschöpfen, was die Versicherungsleistungen her geben, weil wir alle genau so leben wollen, dass die Chance gross ist, dass wir in den letzten beiden Jahren unseres Lebens mehr Gesundheitskosten verursachen als in unserem ganzen Leben davor, weil wir lieber auf dem OP bei der Implantation des zwölften Bypasses sterben, statt nach einem bewussten friedlichen Abschied zu suchen, darum wird uns auf dem letzten Stück Weg eben jede pflegerische Geste als Aufwand verrechnet.
Von den gleichen Personen notiert, die eh schon klagen, dass sie keine Zeit für uns haben, leider. Dafür haben Sie Zeit, die Abrechnungen zu kontrollieren und den Stolz Ihres Ersparten ein Stück weit mehr schwinden zu sehen. Sie haben wirklich alle Zeit dafür und sind mit Ihrem Gram allein, denn besuchen will Sie hier, im Demonstrationsobjekt unseres pervertierten Systems, eh niemand mehr.

Ich wusste es auch nicht: Clowns gibt es nicht nur in Spitälern für Kinder. Clowns gibt es auch für Alters- und Pflegeheime. Als Clownduo “Frieda & Berta” besuchen Ursula Jucker und Bettina Staubli Betagte und machen da mit den Leuten das Chalb, wie wir sagen.
Das Bild, das im Migros-Magazin Ausgabe 33/08, Seite 87 dazu ganzseitenformatig abgebildet ist, stösst mich alledings ab. Eine hochbetagte Frau scheint mir da mehr schlecht als recht erst recht zum Kindskopf gemacht zu werden…
Doch dann lese ich den Artikel doch, und ich werde nachdenklich. Sie ja vielleicht auch: Ich zitiere zum Abschluss einfach zwei Passagen des Textes:


Ein Herr habe ihr gesagt, er fände es furchtbar, dass es Leute gebe, die wegen jedem Blödsinn lachten. Sie [Bettina Staubli] habe zurück gefragt: “Wie finden Sie denn Leute, die sich wegen jedem Blödsinn ärgern?”

*


Nochmals Bettina Staubli: “Eines darf man nie vergessen. Die Menschen hier leben. Sterben tut man erst im letzten Moment.”





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Wir teilen das Leben – hoffentlich bis zum Ende


Nachtrag: Neue Bilder in den Media-Alben und
Australien wird weiter nacherzählt