Mein Schreiben. Täglich.

Teilen Sie mit mir unbeschwerte und schwere Gedanken in Prosa oder Lyrik und versuchen Sie, Grau in Blau zu verwandeln - unter welchem Himmel auch immer.

Mir fällt das oft selbst schwer genug...


10 Min. - 1 Stichwort: Sehen

∞  21 April 2007, 13:28

Wie viele Worte haben wir für die Sinneswahrnehmungen unserer Augen? Meist benutzen wir die Worte “sehen, blicken, schauen” ohne Nachdenken oder bewusste Selektion. Das eine mag mehr hochdeutsch sein als das andere, aber die möglichen Unterscheidungen gehen tiefer.
Wir können durch eine Luke lugen, gewissermassen gedehnt schauen. Wie mit allen Sinnen können wir auch mit unseren Augen bewusst “arbeiten” oder zumindest sehr bewusst “auf Empfang stehen” für das Wunderbare, was sie uns melden.

Wenn wir denken, sehen wir im Grunde nach innen. Eigentlich sehen wir immer, selbst das Nichs ist schwarz und damit nicht farblos. Wir denken in Bildern, lesen fördert sowieso unzählige eigene Assoziationen. Wenn wir ein Buch lesen, dann denken wir uns vielleicht auch die Gerüche und die Töne, vor allem aber sehen wir die Welt, wie wir sie uns gleichsam unserem inneren Auge vor-stellen.

Wir können bewusst hinsehen, unserer Phantasie auch etwas zutrauen, das Grosse denken, während wir im Inneren sehen – und wir können das Kleine beobachten, am Wegesrand, wirklich hinsehen, das Tempo herausnehmen aus dem Wischen, mit dem wir den Kopf von links nach rechts drehen und dabei über die Gegenstände huschen, ohne Halt, ohne Tiefe.

Oder aber wir können mit unseren Augen filmen, die Schnitte setzen, wie ein Regisseur und Cutter, Standbilder einfügen, innehalten, bis sich unsere Knie wie von selbst beugen, weil wir etwas genauer wissen, sehen wollen.

Manchmal ist es ein ganz stilles Wunder, eine alltägliche Sensation, die unheimlich trösten kann: Wenn unser Sehen zum Beobachten wird und wir die Zeit anhalten, sie stehen lassen und ein Moment erhalten bleibt, für ein genaueres Hinsehen.

Im nächsten Moment wieder gucken wir nach dem Flüchtigen, blicken uns um, geniessen wir die Leichtigkeit rauschender Farben, flüchtiger Lichtpunkte, tanzender Lichter auf welligen Wasserspiegeln.

Auch dies kann sehen sein: Genuss ohne Gedanke, Sinnenfreude pur, sehen mit geschlossenen Augen, der Wärme eine Farbe zuordnen und dem Wind, der die Stirn kühlt, ein Gesicht geben.

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